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Herr Müller sieht die Welt

Heftpflaster 

Es war Nachmittag. Ernesto sah mich durchdringend an und sagte zu mir, dass er sein Glück als Performance-Künstler versuchen wolle. Dazu müsse er natürlich nach Düsseldorf. Sein großes Vorbild Joseph Beuys lebte schließlich da. Das mit den Hüten habe er auch schon probiert, aber diese rutschten ihm immer in den Nacken. Er wolle als lebendes Mahnmal gegen die Zerstörung der Flora und Fauna auf unserem Planeten künstlerisch aktiv werden. Ähnlich den Klimaklebern nur umgekehrt wolle er sich nicht auf den Asphalt festkleben, sondern stattdessen Heftpflaster auf seinen Panzer kleben. Es sei ihm ohnehin rätselhaft, wie die Klimakleber dies mit ihrer Blase hinkriegten, so lange nicht auf`s Klo gehen zu können. Sein oberstes Ziel sei es, mit dem bepflasterten Panzer nach Düsseldorf zu wandern, um Aufmerksamkeit für sein Anliegen zu gewinnen. 

Obwohl von mir darauf aufmerksam gemacht, dass es von Kiel relativ weit nach Düsseldorf sei, ließ er sich von mir von seinem Vorhaben nicht abbringen und marschierte los. Sein Weg von Kiel nach Düsseldorf führte ihn durch Hamburg. Dort traf er auf einen Künstler mit Hut und einer markanten, nuscheligen Stimme, dessen Namen er vergessen hatte. Ihm rutschte der Hut ständig vor die Augen. Dieser bestärkte ihn und sagte zu ihm: „Mach dein Ding!“ Nachdem er sich in diesem Sündenpfuhl fast verloren hätte, beschloss er nach 2 Tagen doch wieder den Heimweg anzutreten. Für das Leben in dem urbanen Dschungel war er nun doch nicht gemacht. 

Nach 4 Tagen kam er völlig erschöpft wieder nach Hause. Ernesto berichtete, er wolle jetzt doch kein Performance-Künstler mehr sein. Die Arbeit unter ständiger Beobachtung sei ihm zu anstrengend und für das Malen von Bildern fehle ihm das Talent. Die Heftpflaster verfehlten ihre Wirkung nicht, wurde er doch auf seiner Reise ständig auf sie angesprochen. Es gipfelte sogar darin, dass ihn ein Fernsehteam ansprach und ihn nach seinem Anliegen befragte. Die kurze Modewelle mit Heftpflastern verflüchtigte sich doch recht schnell, da sie sehr unangenehm in den Haaren ziepten. 

Also musste Ernesto doch wieder als Verkaufsberater für Herrn Yilmaz arbeiten. Seinen Ausflug in die weite Welt der bildenden Künste ließ ihn im Laden von Herrn Yilmaz fast als Promi wirken. Oftmals wurde er noch auf seine Performance angesprochen. Da war es für ihn fast erholsam, wieder zwischen Tomaten und Gurken beratend tätig zu sein. 

Manchmal ist einem das Bekannte doch näher als das Ferne, was auch immer das bedeutet. 

Kopfwürmer

Poller 

Diese Pickel der Fußgängerzonen nahmen immer mehr Überhand, waren sie doch Ausdruck der aktiven Gegenwehr gegen Lieferanten aller Art. Auch als Schutz vor Terroranschlägen gefielen sie zunehmend. Ein Poller machte noch keinen Frühling, so sagt man, glaube ich. Aber viele Poller verderben den Brei. Um die Sprichworte-Kiste nicht weiter zu strapazieren, sei hier nur angemerkt, was Hänschen nicht gelernt hat, lernt Hans nimmer mehr oder kurz gesagt: Wer anderen eine Grube gräbt, wird Bauarbeiter. Genug der flotten Sprüche. 

Zurück zu Pollern: Eigentlich sollten diese ja die Zufahrt zu bestimmten Bereichen versperren. Oftmals tun sie das auch zunächst, können dann aber mit passendem Schlüssel doch umgelegt werden oder sie sind absenkbar. Das hat dann zur Folge, dass jenseits der Poller doch ein geschäftiges Treiben herrscht und man sich fragt, welchen Zweck die Zugangsbeschränkung dann eigentlich mal hatte. Clearasil hilft gegen diese Art von Pickel wenig. Vielmehr Geduld und Langmut. Ganz nebenbei ist mir aufgefallen, dass es im TV gar keine Clearasil-Werbung mehr gibt, ich ahne da eine Weltverschwörung. Oder hat plötzlich die Menschheit keine Pickel mehr? Das kann ich nicht ganz glauben. Daher siehe Weltverschwörung. Die neue Pickelfreiheit sollte die Menschheit dazu veranlassen, sich wieder wichtigen Themen in ihrem Dasein zuzuwenden. Kriege wären da zum Beispiel – gleich nach Pickeln – ein lohnenswertes Ziel der Auslöschung. 

Die Folgen versenkbarer Poller für Rollifahrer seien hier mal nicht genannt. Sie sind geradezu unaussprechlich, weil skandalös. Man stelle sich einen Rollifahrer vor, der von einem solchen Poller angehoben wird und dort oben verhungert, weil keiner an einen Rollifahrer auf Pollern denkt und Vogelfutter schmeckt ja nicht jedem… Mit anderen Worten: Die Folgen für uns alle sind unabsehbar. Rollifahrer auf Pollern sind ja Gott sei Dank eher selten anzutreffen. Um die Rollifahrer sichtbarer zu machen, könnte es helfen, sie mit Lampen-Stirnbändern zu versehen, dann hätte man Weihnachten auch weniger zu schmücken in den Innenstädten. Natürlich müsste der Rollifahrer ein Solarpanel auf dem Kopf tragen, damit die Lampen mit umweltfreundlicher Energie versorgt werden könnten. Man sieht also: Es gibt noch viel zu tun im Staate Dänemark, um Rollifahrer in den Alltag vollständig zu integrieren. 

Bis dahin akzeptieren wir Rollifahrer gelegentliche Missgeschicke mit den Pollern, lesen weiter Shakespeare und freuen uns auf Weihnachten. 

Herr Müller sieht die Welt

Zahncreme 

Natürlich weiß jeder Schlauberger, dass Schildkröten keine Zähne haben, trotzdem war Ernesto ein großer Fan von Zahncreme. Er benutzte sie zum Polieren seines Panzers. Dafür eignete sie sich dank der in ihr enthaltenen Schleifpartikel ganz hervorragend. So ein hochglanz-polierter Panzer barg für Fahrräder und andere beräderte Vehikel aber auch wieder Gefahren, derer man sich bewusst sein musste. Ein hochglanz-polierter Panzer konnte nämlich im Sonnenlicht extrem blenden. 

Mit dieser Gefahr im Bewusstsein trat Ernesto vor die Tür, setzte sich zwar eine Sonnenbrille auf, vergaß dann aber die Gefahr, die sein Panzer für alle anderen bedeutete. Und natürlich sorgte Ernesto für einen ordentlichen Verkehrsunfall. Ein Lieferfahrzeug fuhr in ein Schaufenster. Beinahe hätte dieser Fußgänger mitgerissen, konnte aber im letzten Moment ausweichen und kam im Schaufenster zum Stehen. Die Folgen waren für Ernesto eher angenehmer Natur, wurden doch jetzt die angebotenen Waren im Schaufenster im Preis reduziert. Staubsauger brauchte Ernesto nicht so, aber höchst spannend fand er Pelzmäntel. Auf mein Insistieren hin, dass diese das Fell toter Tiere seien, reagierte Ernesto wie man es von Reptilien gewohnt ist, nämlich gar nicht. Im Aushalten von Widersprüchen war Ernesto meisterhaft. Es machte in solchen Fällen keinen Sinn, ihn darauf hinzuweisen. Einfach das Thema wechseln. 

Neben der zweckentfremdeten Nutzung der Zahncreme gebrauchte Ernesto auch Deo. Er strich sich mit ihm die Unterseite seiner Füße ein, weil diese immer so unangenehm rochen, wie er fand. Die von ihm präferierte Art des Deos war natürlich ein Deo namens „Wilder Dschungel“. Mit diesem unter seinen Füßen konnte ihm nichts mehr passieren, zumindest geruchstechnisch. 

Die Gefahren des Alltags bestanden natürlich weiterhin und gerade Schildkröten waren in heutigen Zeiten besonders gefährdet. Taschendiebe waren auf verlorenem Posten, aber Online-Betrüger konnten dafür sorgen, dass Ernestos hart verdientes Geld sich binnen Sekunden verflüchtigte. Er hatte schon viel von Betrügereien zu Lasten der Kontoinhaber gehört, war jetzt fast ein bisschen gekränkt, dass er noch nicht von ihnen auserwählt wurde. Aber anscheinend war sein Kontostand stets so niedrig, dass er uninteressant für Betrüger war. 

Zurück zur Zahncreme: Diese ist zwar gut für die Zähne, aber zweckentfremdet doch eher gefährlich. Es macht schon Sinn, die Dinge für das zu benutzen, wofür sie gedacht sind. 

Herr Müller sieht die Welt

Girokonto

Ernesto wollte jetzt auch eine Giro-Karte besitzen, zumal er weniger über Hosentaschen verfügte, in denen Kleingeld aufzubewahren wäre. Die EC-Karte konnte er einfach auf der Unterseite seines Panzers in die dafür vorgesehene Hülle hineinschieben. Die Hülle war natürlich am Panzer festgeklebt. So konnte Ernesto relativ selbstständig in Geschäften einkaufen, wenn diese über die aktuellen Systeme des bargeldlosen Bezahlens verfügten. 

Die gymnastische Übung des Kartezückens musste natürlich durch entsprechend hohe Beträge gerechtfertigt werden. Produkte, die nur kleinere Beträge erforderten, wurden entweder von ihm gekonnt ignoriert oder mussten von mir beglichen werden, da ich ja über Hosentaschen verfügte. Umso größer war Ernestos Freude, wenn er die Karte mal wieder zücken konnte. Von der Carrera Bahn bis zur neuen Waschmaschine wollte er diese jetzt mit seiner Karte bezahlen. Auf meine Nachfrage, ob wir diese Dinge denn alle bräuchten, stutzte er kurz und sagte dann aber im Brustton der Überzeugung: „Ja!“. Den nächsten Schritt zum kritischen Konsumieren musste ich ihm wohl noch beibringen. Bis dahin wurde alles gekauft, was nicht bei 3 auf`m Baum war. Dabei ist der kritische Umgang in der Welt des Konsums so wichtig. Oft lässt man sich leicht verleiten, Dinge zu kaufen, die man gar nicht braucht. Andererseits ist es ja auch relativ unspannend, über jede Kaufentscheidung nachzudenken. Immer vorausgesetzt, dass man über genügend Geld verfügen kann. 

Relativ schnell lernte Ernesto, was es hieß im Dispo zu sein. Seine Einnahmen reichten irgendwann bei weitem nicht mehr aus, seine Ausgaben zu decken. Glücklich ist, wer über eine schützende Hand verfügt und so konnte Ernestos überzogenes Konto von mir ausgeglichen werden. Sein Konto verfügte seit diesem Zeitpunkt über keinerlei Dispo mehr, er konnte also nur noch das ausgeben, was vorhanden war. Das war zwar relativ schnell erschöpft, aber es bot ihm und mir mehr Sicherheit. Sicherheit war für Ernesto ein bisher unbekannter Begriff, verfügte er doch über einen schützenden Panzer und somit war die Sicherheit eine Selbstverständlichkeit. Die neu gewonnene Sicherheit im Zahlungsverkehr ließ ihn erleichtert aufatmen. 

Auch Schildkröten im Allgemeinen und Ernesto im Besonderen mussten erst langsam an den Umgang mit Geld gewöhnt werden. Die neue Selbstständigkeit sollte ja nicht gleich vor die Wand fahren. Geld ausgeben will gelernt sein! 

Herr Müller sieht die Welt

Bausparvertrag 

Ähnlich wie Schnecken so machte eigentlich auch für Schildkröten ein Bausparvertrag keinen richtigen Sinn, trugen sie doch ihre Behausung stets mit sich herum. Trotzdem wollte Ernesto unbedingt einen solchen haben, weil er auf dem Amt gehört hatte, welche Vorteile dieser brächte. Welche genau konnte er mir auf Nachfrage nicht beantworten, dennoch wollte er unbedingt einen Bausparvertrag haben – „Für schlechte Zeiten“, wie er sagte. Wann diese schlechten Zeiten seien, wusste er noch nicht genau, aber wie immer sei Vorsicht besser als Nachsicht. 

So sparte er Monat für Monat Geld an, von dem er relativ bald merkte, dass er es gar nicht hatte. Im Zuge unserer Einsparungen, was seine Ausgaben betraf, kam er schnell zu dem Schluss, was es hieß kein Geld mehr zu haben und was es heißt, einem nackten Mann in die Tasche zu fassen. Null mal nix ist nunmal null. Die große Frage war jetzt also: Wie konnte er seine Einnahmen steigern. Der Job bei Herrn Yilmaz war als Geldquelle schon erschlossen. Die Drohne als Auslieferungsobjekt von Paketen war doch zu neuartig für die Menschen. Blieb nur, den Job bei Herrn Yilmaz wieder zu erweitern. Zukünftig wollte er die ganzheitliche Einkaufsberatung anbieten. Was dies nun genau heißen sollte, konnte Ernesto auf meine Nachfrage hin zunächst nicht genau beantworten. Aber auf jeden Fall sollte es insgesamt ein Rund-um-Wohlfühlpaket für die Kunden werden. 

Schließlich entwickelte er folgendes Konzept: Von der einfachen Gemüsegurke bis zum frisch geernteten Blumenkohl sollten alle Produkte mit Zertifikat angeboten werden. Dazu gehörte ein Rezeptbuch mit Kochvorschlägen, wie das Produkt zu verarbeiten sein könnte. Zertifikat hieß in diesem Fall, dass die Herkunft genau nachvollzogen werden konnte und sämtliche Produkte aus der näheren Umgebung kamen. Ernestos Konzept kam bei den Kunden sehr gut an. Herr Yilmaz bot an, seine Stundenzahl zu erhöhen. So stiegen Ernestos Einnahmen. 

Der Bausparvertrag kam als übergeordnetes Ziel wieder in greifbare Nähe. Ernesto merkte jetzt aber, dass es mehr Sinn machte an seiner statt eine Lebensversicherung im Kombipaket einer BU und Rentenversicherung abzuschließen. Ansonsten beschränkte er sich darauf, unbeschwert zu leben und ließ sich keinerlei weitere Versicherungen aufquatschen, sondern gab das verdiente Geld in vollen Zügen aus. 

Ernesto kam zu der Erkenntnis, dass Versicherungen kein unbeschwertes Leben garantieren können. 

Herr Müller sieht die Welt

Krieg 

Ernesto und ich saßen mal wieder am Wochenende zum Frühstück zusammen. Unvermittelt blickte Ernesto mich an und fragte mich, ob denn die Menschen als vermeintliche Krone der Schöpfung gar nichts anderes zu tun hätten als die Technik der Keule immer weiter zu verfeinern. Ernesto meinte mit seiner Frage, warum die Menschen sich auf immer perfidere Art und Weise umbringen und technisch aufrüsten. 

Von dieser Frage Ernestos war ich zunächst einmal überrascht, aber nach längerem Überlegen konnte ich ihm nur antworten, dass ich auch keine für ihn zufriedenstellende Antwort geben könnte. Auch mir war es unklar, warum das Streben der Menschen stärker auf die Verfeinerung der Keulentechnik hinauslief, statt daran zu arbeiten, möglichst friedlich miteinander umzugehen. 

Vielleicht ist es ja einfacher – so meine Vermutung – die Waffentechnik immer mehr zu verfeinern, anstatt sich mit sich selber zu beschäftigen? Eine Beschäftigung mit sich selber erfordert immer auch ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeit von den Menschen. Mal ganz abgesehen von der notwendigen Bereitschaft, sich mit sich selber unvoreingenommen auseinanderzusetzen, erfordert sie den Willen, Kompromisse einzugehen und entsprechend zu handeln. Da aber die Einsicht in Kompromisse immer mehr abnahm, stand zu befürchten, dass die Menschen auch die jetzigen Krisen und Konflikte nicht zu ihrem Vorteil nutzten. Nach wie vor wurden Konflikte nur in Kategorien wie Gewinner oder Verlierer gesehen, nicht aber in die Einsicht, die beide Seiten in diesem Konflikt haben können. 

Gerade angesichts der Krise in Israel möchte ich sicher für keine Seite Partei ergreifen. Beide Seiten werden ihre Begründung haben, aber trotzdem ist noch keine Lösung in Sicht. Also müssten beide Seiten den gewohnten Pfad der Denkweise verlassen, um einen Frieden herzustellen, vor allem für die Leittragenden des Konflikts und das sind nunmal in erster Linie die Kinder. Ihnen ist nicht damit geholfen, wenn eine Seite sich zum Gewinner aufschwingt. Andererseits ist die andere Seite ja auch kein Verlierer, wenn sie sich in dem Konflikt zurückziehen würde. 

Zurück zu Ernesto: Ich versuchte ihm klarzumachen, dass er nicht der Verlierer ist, bloß wenn er mal in einer Diskussion unterliegt. Es wäre nur die Frage, wie ich als vermeintlicher Gewinner der Diskussion wieder ein gleichberechtigtes Gefühl vermittle. Dann müsste die Keule mit Hilfe der Technik auch nicht immer weiter verbessert werden. 

Kowalski lebt

Viertel Hack gemischt 

Es war wieder einmal Mittwoch. Waltraut und ich gingen zur Metzgerei unseres Vertrauens. Waltraut mehr, um wieder eine Scheibe Fleischwurst abzugreifen, denn Hunde bekamen diese als kleines Leckerli, das Herrchen – also ich – musste hingegen etwas Reelles kaufen. Also nahm ich eine kleine Schale Fleischsalat, denn dieser schmeckte mir außerordentlich gut. Bei dieser Gelegenheit wollte Waltraut ein Viertel Pfund Gehacktes haben, denn sie liebte Brötchen mit Mett. Gehacktes gab es natürlich bei unserem Metzger mannigfaltig, aber Waltraut bevorzugte „gemischt“. Da wir nur fünf Brötchen gekauft hatten, brauchte ich nicht ganz so viel, aber unser Abendbrot war schonmal gesichert. 

Waltraut hatte mehrfach versucht, als Vegetarierin bzw. Veganerin durchzukommen, aber sie sagte schließlich, dass sie als Raubtier nicht auf Fleisch verzichten könne. Die Wahl zu haben, wäre nur mir vorbehalten. Mett gehöre auf jedes Brötchen, so ihre Ansicht. Meine Sache war Mett nicht so. Da ich ihr aber nicht den Spaß verderben wollte, ließ ich sie gewähren. Für mich kam Mett nur in gebratener Form zum Beispiel in Soßen oder Ähnlichem in Frage. 

Die Brötchen, die wir abends zur Begrüßung der Abendstunde aßen, aß ich also mit Cornichons und dem von mir gekauften Fleischsalat. Waltraut beschränkte sich wie gesagt auf Brötchen mit Mett. Dankenswerter Weise verzichtete sie auf Zwiebeln. Zum einen war so ihr Atem besser, zum anderen musste sie nicht ständig pupen – jeder Hundebesitzer weiß, wovon ich rede. 

Nachdem unsere Mägen gut gefüllt waren, gingen wir zum behaglichen Teil des Abends über. Wir schauten unsere Lieblingsepisode von Lassie und futterten dazu kleine Mini-Salamis. Die Mini-Salamis waren von uns hoch geschätzt, obwohl sie unter dem Verdacht standen, Pferdefleisch zu enthalten. Das wurde aber von Waltraut gekonnt wegignoriert, indem sie mich auf den von mir so hoch geschätzten Fleischsalat ansprach. Ich konnte natürlich nicht anders, als dieses Meisterwerk der Handwerkskunst über alle Maßen zu loben. Wo waren wir stehen geblieben? … Zack, und wieder einmal hatte Waltrauts Ablenkung funktioniert. Ich hatte schon völlig vergessen, worum es nun eigentlich ging. Ach ja, Mini-Salamis könnten Pferdefleisch enthalten, aber egal. Man muss nicht immer alles wissen. 

Ach wären doch alle Menschen wie Waltraut! 

Herr Müller sieht die Welt

Gummibaum 

Um meine Wohnung etwas behaglicher für Ernesto zu gestalten, beschloss ich, einen Gummibaum aufzustellen. Ernesto sollte sich schließlich auch von bekannter Flora umgeben sehen. Denn Gummibäume, so glaubte ich, wuchsen dort, wo Ernestos Art herkam, in Südamerika. Also machte es ja durchaus Sinn, dass die Pflanzen in unserer Wohnung seinem heimischen Habitat entsprachen. 

Gar nicht auf dem Zettel hatte ich, dass Ernesto eigentlich gar keine Pflanzen mochte und auch Gummibäume ihm relativ egal waren. Sie sahen aus wie aus Kunststoff, so fand er. Da mir aber Ziegelsteinpflanzen unbekannt waren, musste ich auf das allseits verfügbare Angebot des örtlichen Gartencenters zurückgreifen. Da standen nunmal Gummibäume – passender Weise – ganz hoch im Kurs. Ernestos Abneigung musste da halt mal kurzzeitig von mir ignoriert werden. Auf meine Nachfrage nach Ziegelsteinpflanzen reagierte der Zuständige im Gartencenter relativ irritiert, war ihm doch Ernestos Abneigung unbekannt, aber von den von mir gesuchten Ziegelsteinbäumen hatte er noch nie gehört. Ich auch nicht, aber das musste ich ihm ja nicht erzählen. Der Spruch „Wissen ist Macht“ verleiht einem in diesem Zusammenhang fast Flügel, weil es doch nichts Schöneres gibt, als jemanden mit Fragezeichen über dem Kopf zurückzulassen. 

Schnell wurde die Erweiterung des Spruches „Wissen ist Macht“ durch „Nichts wissen macht nichts“ ergänzt. Die Ergänzung nahm dann der Gartencenter-Mitarbeiter selbst vor, so konnten er und ich gesichtswahrend aus der Situation entkommen. 

Gummibäume waren also – laut meinen Unterlagen – die passendste Art des Bewuchses für Ernestos Art. Da in nächster Zukunft nicht abzusehen war, dass Pflanzen kreiert wurden, die Ernestos Zuspruch fanden, war ich weiter auf der Suche nach Pflanzen, die er mögen könnte. Ich wurde alsbald fündig bei Kakteen. Diese waren zwar auf den ersten Blick stachelig, aber dann doch bei genauer Kenntnis ihrer Stacheligkeit für den Betrachter hübsch anzuschauen. Ähnlich wie Ernesto waren sie die Schildkröte unter den Pflanzen, weil sie in ihren Auswüchsen sehr überschaubar blieben. 

Da es Ernesto aber relativ egal war, welches Grünzeug unsere Wohnung verschönerte, blieb es an mir, hier und da Kakteen aufzustellen, die als grüner Blickfang das Interieur der Zimmer auflockerte. Der von mir gekaufte Gummibaum war ja letztlich auch nur ein Kaktus, wenn auch stachellos. 

Es bleibt einem nur festzustellen, dass Gummibäume und Schildkröten keine Samba tanzen wollen trotz ihrer gemeinsamen Herkunft. 

Herr Müller sieht die Welt

Fernsehen 

Mit dem neuen Flachbildfernseher wirkte es fast ein bisschen gespenstisch, so einen großen Bildschirm mit einer Schildkröte davor zu sehen. Ernesto fühlte sich auch ein wenig von den Bildern erschlagen. Das lag weniger an den Bildinhalten, sondern mehr an ihrer schieren Größe. Nachrichten wurden so zum flackernden Bildschirmerlebnis und Ernesto musste einige Meter weiter vom Monitor wegrücken, um nicht von der Bilderflut erschlagen zu werden. 

Häufig genug fühlte er sich unmittelbar in Kriegshandlungen verwickelt, da die Bilder so vereinnahmend waren. Oft fiel es ihm schwer, dann zwischen Realität und Fernsehen zu unterscheiden. Daher mussten wir dann häufig erst eine Runde Tetris spielen, damit ihm der Unterschied zwischen Realität und Fiktion wieder klar wurde. 

Ernesto war also gerade aus Beirut wieder heim gekehrt und entspannte bei einer Runde Tetris, da klingelte es plötzlich an der Tür. Es war eine dringende Nachricht für Ernesto, so erfuhr er an der Gegensprechanlage. In Erwartung gewichtiger Themen – wie dem Ende der Welt, die zunehmende Umweltverschmutzung oder die Auferstehung – war der Mensch, der dann vor unserer Tür stand, nur daran interessiert, möglichst viele Kabelanschlüsse zu verkaufen. Da Ernesto schon geraume Zeit davon genervt war, dass unser Fernsehempfang von der Wetterlage abhing, war er natürlich hoch erfreut, für ein flimmerfreies Fernsehbild sorgen zu können. Also ließ er sich das Angebot des Kabelvertreters in aller Ausführlichkeit erklären und schloss dann einen solchen Vertrag ab. Doof war nur, dass sich Ernesto einen Vier-Jahres-Vertrag aufquatschen ließ. Bei so viel Gebundenheit musste Ernesto erstmal eine Runde in den Park, um frische Luft zu schnappen und den Wind zu spüren. Nachdem Ernesto mir den Vier-Jahres-Vertrag beichtete, war ich natürlich darum bemüht, aus dem Vier-Jahres-Vertrag einen Ein-Jahres-Vertrag zu machen, denn Ernesto hatte übersehen, dass die Kosten im zweiten Jahr um beinahe das doppelte steigen sollten. Das war zunächst gar nicht so einfach. Erst nachdem ich dem zuständigen Sachbearbeiter klar machen konnte, dass sein Vertreter einen Vertrag mit einer Schildkröte abgeschlossen hatte, konnten wir relativ problemlos einen Ein-Jahres-Vertrag abschließen. 

Zurück zu übergroßen Fernsehbildschirmen und kleinen Schildkröten: Manchmal kommt einem die Realität zu übergroß und mächtig für die eigene Seele vor. In solchen Fällen macht es durchaus Sinn, alles abzuschalten und sich einen Punkt in der Landschaft oder auf dem Meer zu suchen, um sich wieder neu zu skalieren. 

Kowalski lebt

Blumenkasten 

Nachdem Waltraut beschlossen hatte, ihr kleines Geschäft doch nur noch im Stehen zu verrichten, erschien mir ihr Wunsch nachvollziehbar, die Blumenkästen auf die Innenseite des Balkons zu verlegen, der Fall nach unten war dann nicht ganz so hoch wie außerhalb der Brüstung. Das Verrichten der Notdurft in den Blumenkästen geschah nur im Notfall, wenn der Weg nach unten zu weit und zu beschwerlich erschien. 

Die von mir in den Blumenkästen gepflanzten Bonsai-Bäumchen mussten zwar gelegentlich durch Wasser gefüttert werden, damit sie nicht an Nitrat zugrunde gingen, aber mit genügender Zugabe von klarem Wasser überlebten sie doch problemlos. Dann wirkte sogar Waltrauts Pipi eher wie Dünger, aber eben nur mit ausreichender Verdünnung. 

Doof war jetzt nur, dass Waltraut dabei ihrem Hobby nicht mehr frönen konnte, nämlich andere zu beobachten. Der Ausblick von der Innenseite der Brüstung war nicht ganz so spannend. Von daher beschränkte sich Waltraut alsbald darauf, doch ihr kleines Geschäft meistens wieder vor der Haustür zu verrichten. Das Sehen und Gesehenwerden spielte schon für Hunde und insbesondere für Waltraut eine große Rolle. 

Was so spannend daran sein sollte, andere während des kleinen Geschäfts zu beobachten, wurde mir kürzlich auf spektakuläre Art und Weise vor Augen geführt: Eine Mama kam mit ihrem Kinderwagen vom Bordstein ab, blieb im Rinnstein stecken und der Kinderwagen überschlug sich. Das Kind konnte Gott sei Dank in letzter Sekunde von einem zufällig vorbei laufenden Rentner aufgefangen werden. Auch wenn dieser schon bald unter der Last des Kindes zusammenzubrechen drohte, so blieben Mutter und Kind doch unverletzt und die ganze Aktion ging für alle glimpflich aus. Rentner, Mutter und Kind blieben unversehrt. 

Der von mir abschließend angebotene Kaffee für alle zur Beruhigung fand reißenden Absatz. Im Gegensatz zu den übrigen Umstehenden und Vorbeilaufenden beschränkte sich meine Aktion nicht nur auf das Glotzen und Zücken des Smartphones, sondern durch mein Handeln wurde ich zum aktiven Teil der ganzen Aktion. Waltraut tat ihr bestes, das Kind nach dem Schrecken abzulenken und so auch zum Ersthelfer zu werden. Somit bewies auch Waltraut, dass jeder – ob Mensch, ob Hund – helfen kann. 

Ach wären doch alle Menschen wie Waltraut!