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Herr Müller sieht die Welt

Irre für Anfänger 

In der aktuellen Tageszeitung wurde mal wieder von einem durchgeschossenen Amokläufer berichtet. Ernesto zeigte sich verunsichert, sah zu mir auf und fragte mich: „Wird denn der Wahnsinn jetzt Normalität?“ Verdutzt über diese Fragestellung, begann ich, mir so meine Gedanken zu machen. 

Also wenn man mal in die Tagespolitik guckt, könnte man schon diesen Eindruck bekommen. Da braucht es schon viel Zuversicht und einen festen moralischen Kodex, um standhaft zu bleiben. Leicht ist man versucht, den vermeintlich leichtesten Antworten oder Erklärungen Recht zu geben. Erst bei genauerem Hinsehen stellt man fest: Oh, oh, upsala! So korrekt sind diese Antworten wohl doch nicht. 

Wenn zum Beispiel Herr Yilmaz sagt, dass Gurken aus Holland die billigsten sind, kann man nur sagen: Natürlich sind sie das! Aber um welchen Preis? Sie kosten unendlich viel Wasser und das Wasser, das sie zur Herstellung benötigen, fehlt an anderen Orten. Dass sie vermeintlich die billigsten sind für den Konsumenten, spielt angesichts der Kosten, die sie für die Allgemeinheit verursachen, keine Rolle mehr. Das kann aber so nicht sein. 

Weg von den Gurken, hin zur Politik. Auch wenn man geneigt ist, diese auch in der Politik zu verorten. Hohe Zölle a la Trump sind zwar gut für die heimische Wirtschaft auf den ersten Blick, vergessen aber, dass Amerika nicht vom Welthandel isoliert agiert, sondern eben Teil desselbigen ist. Die vermeintlich hohen Zölle schützen zwar die heimische Wirtschaft, schlagen dann aber an anderer Stelle zu Buche. Was nützt es Amerika, wenn Produkte aus anderen Ländern teurer werden? Die Konsumenten also letztlich auf anderen Wegen die hohen Zölle mitzahlen müssen und damit die Gelackmeierten sind. „America first“ ist relativ kurz gedacht. Der Irrsinn wird also obsolet angesichts Trumps Zollpolitik. 

Die Amokläufe als Zeichen der Hilflosigkeit angesichts der totalen Überforderung sollten wohl eher mal zum Innehalten anregen. Dinge mit Abstand zu betrachten hilft manchmal und hier besonders. 

Ich erklärte Ernesto also, dass der Wahnsinn natürlich nicht Normalität sei, sondern die Ausnahme bleibe, man muss nur Geduld erlernen, denn viele Dinge erledigen sich dann von selbst. 

Kowalski lebt

Traubenzucker 

Wir waren uns nicht ganz sicher warum… Jedenfalls lief Ernesto – immer wenn er Traubenzucker nahm – rückwärts. 

Um einen Abgleich mit einem Säugetier zu haben, probierte Waltraut jetzt auch mal Traubenzucker. So prinzipiell sind Tierversuche ja doof, aber in diesem Fall war es okay, zumal Waltraut selber neugierig auf das Ergebnis war. Zu unserer großen Überraschung bewegte sich Waltraut für kurze Zeit grazil und elegant und noch dazu schnell. Der Effekt verschwand jedoch binnen weniger Minuten wieder. Dann war sie wieder ganz die Alte, trantütig und behäbig. Also ehrlich gesagt, so gefiel sie mir besser und entsprach auch mehr meinem fortgeschrittenen Alter. 

Komischerweise nehmen ja vor allem junge Menschen Traubenzucker, um mehr Energie zu haben. Dabei macht es ja gerade im Alter mehr Sinn. Junge Menschen sollten von Natur aus schon mehr Energie haben, Traubenzucker hilft da nur bedingt. Falls sich junge Menschen vom Traubenzucker so eine Art Doping-Effekt versprechen, so sei ihnen gesagt: Wo nichts ist, kann auch nichts werden. Soll heißen: So ein paar Muskeln und ein wenig Ausdauer müssten schon vorhanden sein, sonst bringt all das „Doping“ nichts. Doping macht ja nur Sinn mit ein paar Abnehmern, sprich Muskeln. Wenn man also eher ein „Schlacksi“ ist, wird man auch mit Doping einer bleiben. Man kommt also nicht umhin, sich dem Aufbau der Muskeln und dem Ausbau der Ausdauer hinzugeben. Das heißt ja nicht, dass man aussehen muss, wie ein Pumper. Viele Muskeln können auch bedeuten, vor Kraft kaum laufen zu können, das wäre schon doof. 

Zurück zum Traubenzucker: Die Wirkung des Traubenzuckers insbesondere auf Tiere, also Säugetiere und Reptilien, wurde bisher oft unterschätzt. Genau das haben unsere Versuche mit Waltraut und Ernesto deutlich gemacht. Dass Traubenzucker solch eine massive Wirkung auf Säugetiere und Reptilien hat, konnte ja keiner ahnen, also sei die Einnahme stets mit Vorsicht vorzunehmen. Die Reaktion von Waltraut auf Traubenzucker war also relativ normal für ein Säugetier. Uns blieb somit nur die bloße Feststellung des Resultats. Der Doping-Effekt war auch für Waltraut überraschend und die hektische Betrachtung der Welt war zu viel für sie. 

Ach wären doch alle Tiere wie Waltraut! 

Herr Müller sieht die Welt

Busticket 

Naja, nun gut, der beste Witze-Erzähler war ich ja nicht. Trotzdem ließ ich es mir nicht nehmen, Ernesto den blöden Witz aus meiner Kindheit zu erzählen von dem Menschen, der eigentlich, immer wenn er Bus fuhr, ein Einzelticket hätte lösen müssen, aber nie eins löste und dennoch öfter Bus fuhr. Als er gefragt wurde, warum er kein Einzelticket löste, antwortete er: „Django (also er selbst) hat `ne Monatskarte“. Ernestos Reaktion war verhalten, ich fand es irre lustig. 

Unabhängig von meinem Witz fuhr Ernesto jetzt öfter mit dem Bus. Er fand das besonders cool, obwohl er zu Herrn Yilmaz nur 2 Stationen fahren musste, hätte also auch genauso gut zu Fuß gehen können. Er nutzte aber die Möglichkeit, um mit dem Bus durch die ganze Stadt zu fahren und erst auf dem Rückweg bei Herrn Yilmaz auszusteigen. Ernesto legte großen Wert auf eine angemessene Begrüßung. Wie ein Weltreisender stieg er aus dem Bus und erwartete ein großes Empfangskomitee. Da dies zumeist ausblieb, begnügte er sich mit einem einfachen „Hallo“ von Herrn Yilmaz. 

Der Busfahrer wunderte sich über Ernestos Touren im Bus gar nicht mehr, weil er sich daran gewöhnt hatte, dass Ernesto – besonders bei schönem Wetter – bei ihm mitfuhr. Die Bedeutung der Öffis für Ernesto war weitreichend, ermöglichte sie ihm doch die selbstständige Erkundung der ganzen Stadt. 

Ernesto lernte das Angebot der Öffis so zu schätzen, auch wenn bei hohen Temperaturen und vielen Mitfahrern ein unangenehmer Schweißgeruch mitfuhr. Aber den lernte Ernesto gegebenenfalls zu ignorieren. Er ließ sich sogar zu der Aussage hinreißen: „Öffis fahren ist wie wenn `ste fliegst“. Was er damit meinte, ist mir nach wie vor unklar. Ich glaube, er war einfach begeistert davon Bus zu fahren. Ein so großes Auto hatten ja nun die wenigsten und auch wenn es nicht sein eigenes war, so war doch der Auftritt mit so einem Riesengefährt jedes Mal ein imposanter. Hinzu kam noch, dass Ernesto jedes Mal, wenn er Bus fuhr, hinter der Windschutzscheibe beim Busfahrer mitfahren durfte. Dort wartete ein Kissen extra für ihn. So verbanden sich großartiger Komfort mit einer herrlichen Rundum-Sicht. 

Nachdem ich mit meinem blöden Witz bei Ernesto nicht landen konnte, fand er zumindest die Idee mit der Monatskarte gut. Ernesto konnte jetzt also voller Stolz auch sagen: „Ernesto hat `ne Monatskarte!“. 

Herr Müller sieht die Welt

Zollstock 

So ein Zollstock ist ja eigentlich denkbar ungünstig für eine Schildkröte, war er doch viel zu unhandlich. Ernesto hatte nun die Idee, die Vernietungen der einzelnen Glieder des Zollstockes zu entfernen und mit den einzelnen Teilstücken des Zollstockes Dinge auszumessen. Das sah komisch aus, so eine Schildkröte mit den Einzelteilen des Zollstockes auf dem Rücken, aber egal. Zur Vermessung von Dingen legte Ernesto die Einzelteile des Zollstockes hintereinander und erhielt so das Maß der Dinge. Bei Sturm oder Erdbeben konnte das natürlich nicht stattfinden, weil dann die Teilstücke ungenau messen würden. Da aber Erdbeben in unseren Breiten relativ selten waren und Stürme nicht so stark ausfielen, dass sie Messarbeiten gefährden konnten, konnte das erwünschte Ziel von ihm erreicht werden. 

Dass er mit den Teilstücken des Zollstockes auf dem Panzer geschnallt aussah wie ein Leiterwagen der Feuerwehr um die Jahrhundertwende, wusste er nicht. 

Bald stellte Ernesto fest, dass es doch eine einfachere und praktikablere Lösung zur Vermessung geben müsse. Er wähnte sich schon einer neuen Erfindung gegenüber und war dann relativ frustriert, als ich ihm leider sagen musste, dass Maßbänder zur Längenbestimmung schon erfunden waren. Trotzdem war das Bild von Ernesto mit Teilstücken des Zollstockes auf seinem Panzer ein unvergessliches. 

Der Einfachheit halber und weil es auch einfacher für Schildkröten zu bedienen und zu tragen war, ging Ernesto so zum Maßband über. Die Flexibilität von Maßbändern ist für Schildkröten schwer nachvollziehbar, zumal Flexibilität nicht zu ihren Grundstärken gehört. Flexibilität gehört ja nicht nur bei Schildkröten nicht zu den Grundstärken, sondern auch viele Menschen könnten von ihr eine Schippe mehr vertragen, aber das nur nebenbei. 

Woher Ernestos Drang zur Vermessung seiner Umwelt kam, konnte ich nur erahnen. Vielleicht hatte es mit seiner Herkunft zu tun, die ja in Südamerika lag und daher weit von Kiel entfernt war. Die Distanz zwischen Südamerika und Kiel war doch beträchtlich. Aber wie gesagt, das war nur meine Vermutung. 

So wurden von Ernesto alle Gegenstände in unserer Wohnung und die Wohnung selbst ausgemessen und die Maße genaustens notiert. 

Herr Müller sieht die Welt

Wasserwaage 

Ohne Vorwarnung sah Ernesto mich vorgestern an und sagte, er wolle unser Leben jetzt mal ins Lot bringen. Das könne ja schließlich nicht so weitergehen. Was er genau damit meinte, ist mir nach wie vor ein Rätsel, aber auf jeden Fall hatten Libellen es ihm jetzt angetan. Was genau Libellen sind und damit zu tun hätten, erklärte er mir im Anschluss. Libellen, so sagte er mir, seien die Dinger, mit deren Hilfe Wasserwaagen ins Lot gebracht werden, also das Luftbläschen, das zwischen den Strichen sein muss und somit anzeigt, ob die Wasserwaage genau waagerecht ausgerichtet ist. 

Sämtliche Türstürze und Regale wurden daraufhin von ihm auf ihr „in-Waage-sein“ überprüft. Aber wenn dem nicht der Fall war, blieb ihm auch nicht viel anderes übrig, als dies auf einem Zettel zu notieren und mich darüber in Kenntnis zu setzen. Selber Hand anlegen, um es auszurichten, war nicht so sehr seins. 

Apropos „nicht in Waage sein“ und „nichts dagegen ausrichten können“: Ernesto liebte Cowboy- und Indianer-Filme, aber er fand, dass das Verhältnis der Bewaffnung von Cowboys und Indianern völlig im Ungleichgewicht sei. Verfügten doch die Cowboys meist über Colts und Gewehre, die Indianer aber nur über Pfeil und Bogen. Dies sei eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, so fand er. 

Bei unseren Cowboy- und Indianer-Spielen in der Wohnung musste das unbedingt Berücksichtigung finden. Neben den Türen, die durch Decken ersetzt wurden, um der ganzen Wohnung ein Tippi-Flair zu geben, konnte ich ihn gerade noch davon abbringen, ein offenes Feuer in unserer Wohnung zu entzünden. Mahlzeiten konnten nur auf dem Herd erwärmt werden. Die ungleiche Gewichtung von Indianern und Cowboys sollte dadurch ausgeglichen werden, dass mal Ernesto und mal ich Indianer waren. In der Rückschau betrachtet hat sich das Ungleichgewicht der Bewaffnung zu Gunsten der Cowboys ausgewirkt. Ob das ein Vorteil für Amerika war, sei mal dahingestellt. 

Einige Ungleichgewichte, so lernten Ernesto und ich, muss man wohl einfach hinnehmen. Gegen sie anzukämpfen, frustriert relativ schnell. Dennoch lohnt ein stetes Abwägen der Situation, um Ungleichgewichte zu erkennen und gegebenenfalls zu beheben, sofern man dazu die Möglichkeit hat. 

Herr Müller sieht die Welt

Hakle feucht 

An einem dieser überhitzten Sommertage, die uns in letzter Zeit häufiger begegnen, hatte Ernesto die Idee, sich mit einem Hakle feucht um den Kopf gewickelt Abkühlung zu verschaffen. Dabei stellte er aber schnell fest, dass diese sehr unangenehm nach Seife rochen. 

Seine Idee war deshalb, dass sie nach Moschus riechen müssten, um die Kundschaft solcher Tücher auf den männlichen Teil der Bevölkerung auszuweiten. Ich schlug ihm also vor, dieses bei der Firma von Hakle feucht als Geruchsvorschlag einzureichen. Mehr als nein sagen konnten sie ja schließlich nicht. Dass der Vorschlag von einer Schildkröte kam, konnten sie ja nicht ahnen. 

Natürlich war die Antwort der Firma „Nein“ und Ernesto war zunächst frustriert über das Ergebnis, dabei fand er seine Idee doch so gut. Hakle feucht-Tücher um den Kopf gewickelt sind zwar jedermanns Sache nicht, aber in der größten Not, also bei großer Hitze, eine angenehme Abkühlung. 

Die Idee, Feuchttücher um sämtliche Extremitäten zu wickeln, überdachte Ernesto bald, weil er bei unserem letzten Ausflug in den Garten diesen zur Hälfte mit in unsere Wohnung brachte. Sämtlicher Sand und Erdboden fand sich in den Tüchern und wurde dann bei uns oben in der Wohnung verteilt. 

Zur Vermeidung von unerwünschten Mitbringseln achtete Ernesto jetzt darauf, die Tücher vor Verlassen des Gartens abzulegen, zumal ich ihm beim Betreten der Wohnung stets an die Sauberkeit seiner Schuhe und Kleidungsstücke erinnerte. Deshalb ging Ernesto dazu über, sich in der Wohnung Abkühlung mit Hilfe einer Sprühflasche zu verschaffen, mit deren Hilfe er Wasser auf seinen Kopf und seine Extremitäten außerhalb des Panzers sprühte. Überhaupt war die Abkühlung mit der Sprühflasche praktikabler, zumal dies auch nicht so aufdringlich roch. Der einzige Nachteil war, dass die Sprühflasche nicht von ihm getragen werden konnte. Aber auch ich kam mir dann umso cooler vor mit an der Hosentasche eingehängter Sprühflasche, die bei Ausflügen von nun an gerade im Sommer immer dabei sein musste. Außerdem konnte ich so im Vorbeigehen Blumen mit Wasser benetzen bei größter Hitze. 

Abkühlungen können also auch ganz geruchsarm sein und trotzdem ihre Wirkung haben. Wie bei allem gilt: gewusst wie. 

Herr Müller sieht die Welt

Handmade 

Nachdem Ernesto mal wieder nächtelang vor unserem Kabelfernsehen verbracht hatte und auf einen dieser Verkaufssender in unserem über 100 Kabelprogrammen hängen blieb, sagte er mir zu meiner Überraschung: Sie hätten von „handmade“-Produkten geredet und er konnte sich überhaupt keinen Reim darauf machen, was das bedeute. Also erklärte ich ihm, dass es sich dabei schlicht und ergreifend um handgemachte Produkte handelt und „made“ einfach das past participle oder die simple past- Form vom Infinitiv, also der Grundform „to make“ war. Er bräuchte also keine Angst zu haben, dass es sich dabei um Maden handeln würde. 

Fremdsprachen waren offensichtlich nicht Ernestos Steckenpferd. Er hatte ja schon nach dem Verlassen des Eies die menschliche Sprache erlernt, zumindest rudimentär so, dass ich ihn verstehen konnte. 

Beruhigt über die Information, dass „made“ von „to make“ kommt, suchte Ernesto jetzt gezielt nach handgemachten Produkten. Er stellte dabei fest, dass dies gar nicht so einfach war, weil die meisten angebotenen Produkte in Serie produziert und nur selten noch in Handarbeit hergestellt wurden. Serie heißt in dem Fall: am Fließband. Eine individuelle Fertigung und Verarbeitung des Produkts war eigentlich nicht mehr möglich, es sei denn es fiel mal vom Band. Da aber Ausschussware kein Zeichen für Handarbeit war, blieb nur der ausdrückliche Hinweis auf Handgemachtes. 

Ernesto lief daraufhin erst einmal zum Bäcker und besorgte eine Tüte voller Backwaren, die waren – so wurde ihm gesagt – alle handgemacht. Beruhigt über diese Information schlug Ernesto mir jetzt vor, dass wir ein Abendbrot mit handgemachten Lebensmitteln essen könnten. Das war gar nicht so einfach. Gurke und Tomate wuchsen ja von alleine, also blieb nur das Medium, auf das wir Gurke und Tomate legten. Wurst wurde meistens ebenfalls in Handarbeit hergestellt, zumindest von unserem Schlachter des Vertrauens. Kleine Molkereien sorgten dafür, dass auch Käse handgefertigt war, wenn auch nur in kleinen Stückzahlen. 

Wir stellten, gerade bei Käse- und Wurstwaren, einen lohnenswerten geschmacklichen Zugewinn für diese Produkte fest. Man kann sich jetzt zu der Aussage hinreißen lassen: Handmade kann wohl ein Qualitätsmerkmal sein. 

Herr Müller sieht die Welt

Baumarkt 

Baumärkte haben etwas Kontemplatives, wie ich finde. Was das heißt, weiß ich nicht so genau, aber es klingt richtig und wichtig. 

Die Größe eines Baumarktes kann am besten erlebt werden, wenn man mal mit einer Schildkröte selbigen abläuft. Ernesto kam zur besseren und schnelleren Erkundung immer nur in den Einkaufswagen, weil dann konnte ich das Tempo vorgeben und war nicht ganz so genervt von Ernestos Trantütigkeit. 

Die Qualität von Baumärkten zeigte sich für Ernesto nicht etwa in ihrer Holzabteilung oder ihrem Schraubensortiment, sondern an den davor befindlichen Imbissbuden. Diese verfügten alle über eine Grundkonstante: Pommes. Ernesto liebte Pommes und so machte er die Qualität der Baumärkte davon abhängig wie gut die Pommes waren. Ketchup oder Mayo spielten da keine Rolle mehr. Der Name des Baumarktes war ebenfalls egal, nur die Qualität der Pommes war ausschlaggebend. Sie wurden insbesondere hinsichtlich ihrer Knusprigkeit und des Mundgefühls (was auch immer das ist) von ihm beurteilt. 

Eine andere von ihm in Erwägung gezogene Konstante zur Beurteilung war der Krautsalat, der in Eimern angeliefert wurde und daher nicht individuell zubereitet wurde, wie es Pommes aber eben wurden. Ebenfalls in Eimern daher kamen Mayo und Ketchup. Aber, wie schon erwähnt, dienten sie nur des Feintunings der Pommes, waren als Grundkonstante zur Bewertung von Imbissbuden daher auszuschließen. Die angelieferten Wurstwaren sollten möglichst aus der Region kommen, um eine geschmackliche Unverwechselbarkeit zu garantieren. Jede Currywurst erhielt so eine unverwechselbare Note. Rippchen und ähnliches sind ja in unseren Breiten nicht so angesagt. 

Zurück zum Baumarkt: Baumärkte sind Orte der Kreativität, sollte man denken. Aber man stellt beim Betrachten der Kundschaft schnell fest, dass es eher darum geht, als Heimwerker-Homie zu gelten. Was man mit seinen Händen erschafft, ist dann schon fast egal, Hauptsache man kann sich all samstaglich in die Baumarkt-Reihe an der Kasse stellen. Mein Alibi, um den Baumarkt an diesem Samstag besuchen zu können, wurde von Ernesto schnell in die Realität geholt, denn er hatte mal wieder Hunger. Zur Feier des Tages gab es natürlich Pommes. 

Kowalski lebt

Bauchfleisch 

Auf unseren Wegen durch den Kiez landeten wir wieder mal bei unserem Metzger. Nach 3 ½ Wochen mussten wir ohnehin dort mal wieder vorbeischauen. Waltraut fragte natürlich sofort nach ihrer Lieblingsspeise Bauchfleisch. Das gab`s jetzt in vier Varianten: zunächst einmal baasik, dann hott/schpeicy (immer dieses neudeutsch, das macht mir immer Probleme), mit Avocado und auch als tropikal-Variante für besonders lustige Gemüter. Waltraut wollte mal die tropikal-Variante probieren, dies schien ihr noch am ehesten entgegen zu kommen, nicht zu scharf, aber würzig und mit einem Hauch fruchtigem Abenteuer. Waltraut war somit als Empfänger von einfachen Mortadella-Scheiben ausgeschieden. Für sie durfte es etwas mehr sein. 

Gerade im Sommer mussten wir dann jedes Mal den Grill anwerfen, wenn Waltraut Lust auf Bauchfleisch hatte. Im Winter konnte das ja auch gut in der Pfanne zubereitet werden, aber im Sommer durfte es nur der Grill sein. Zum Anwerfen des Grills gingen wir in unseren Innenhof, was dann immer ein Nachbarschaftsfest nach sich zog, weil alle Nachbarn des Hauses dazu kamen. Das Nachbarschaftsfest war zu fortgeschrittener Stunde für Hunde und Kinder unlustig, weil sich dort vor allem sinnlos betrunken wurde. 

Im Zuge eines dieser sinnlosen Besäufnisse eskalierte ein zunächst harmlos wirkender Streit zu einem Handgemenge, in dessen Folge in den nächsten Wochen keine Hoffeste mehr stattfanden. Der Grund des Handgemenges war im Eifer des Gefechts verloren gegangen, aber ich glaube, es ging um Dauerwellen oder die Bepflanzung der Blumenkästen, jedenfalls etwas Bedeutsames, ich komme nur gerade eben nicht mehr darauf. Na jedenfalls fand erst nach sieben Wochen wieder ein Hoffest statt, weil sich doch alle Beteiligten lieber an die schönen Hoffeste erinnerten als an diesen doofen Streit. Das Miteinander von Streit und Hoffesten muss wohl erst gelernt werden, also eigentlich: Streiten für Jedermann oder anders: Streiten will gelernt sein. 

Waltraut und ich zogen es vor, uns mit einem Stück Bauchfleisch neben den Blumenkasten zurückzuziehen. Wir genossen die untergehende Sonne und schwiegen in Frieden. 

Ach wären doch alle Menschen wie Waltraut! 

Herr Müller sieht die Welt

Nacktschnecken

Davon, wie beglückt Ernesto war, endlich ein Tier entdeckt zu haben, das langsamer als Schildkröten war, berichtete ich bereits. Aber jetzt hatte er im Garten Nacktschnecken entdeckt und die fand er voll eklig. Denn deren Schleimspur war gefühlt noch größer als die von herkömmlichen Schnecken. Überhaupt wunderte ihn, dass diese Schnecken über gar kein Haus verfügten. Hatten sie keinen Bausparvertrag?

Es bedurfte einiger Aufklärung meinerseits bis er sie als gleichwertige Schnecken anerkannte. Seine Irritation bezüglich des fehlenden Hauses konnte wie schon gesagt von mir relativ schnell aufgeklärt werden. Dass sie dennoch so langsam waren, erschien Ernesto trotzdem merkwürdig.

Er überlegte, ob sich hier ein gezieltes Doping lohnen würde. Seine Überlegung war, wie er die Kriechgeschwindigkeit von Schnecken beschleunigen konnte und ob Schneckenhäuser dabei eine Rolle spielten, Stichwort Windschnittigkeit. Pfeffer und Chillipulver eigneten sich als hervorragende Dopingmittel für Schnecken, wie er herausfand. Sie beschleunigten die Kriechgeschwindigkeit von Schnecken ganz enorm, aber eben nur kurzfristig. Als wir dann jedoch in unserem Garten Schleimspuren fanden, die aussahen wie umgedrehte Bremsspuren, ließ Ernesto doch von seinem Versuch ab. Die Frage, ob mit Haus oder mit ohne spielte fortan keine Rolle mehr, weil die Beschleunigung der Schnecken im nicht messbaren Bereich lag. Auf langer Strecke wäre dies sicherlich messbar gewesen, aber über die kurze Distanz in unserem Garten war sie nicht erheblich. Außerdem schienen die Schnecken von der ungeahnten Feurigkeit des Chillipulvers bzw. Pfeffers geradezu überrascht zu sein. Mit so viel Geschwindigkeit konnten sie gar nicht umgehen und mussten dieser erstmal Herr werden. Also verzichtete Ernesto fortan auf jegliches Doping für Schnecken. Für sich selbst erschienen ihm sämtliche Dopingversuche zu waghalsig. Ein Geschwindigkeitsrausch sollte seiner Meinung nach stets natürlichen Ursprungs sein, nicht künstlich herbeigeführt werden.

Die Frage, ob Nacktschnecken als vollwertige Schnecken – auch ohne Haus – anerkannt werden sollten, wurde letztendlich von ihm in vollem Umfang bejaht. Die Frage, ob es Schneckenhäuser auch zur Miete gab, konnte von uns nicht abschließend geklärt werden.