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Herr Müller sieht die Welt

Katzenstreu 

Wie ein Entdecker wandelte Ernesto durch das Katzenklo unseres Nachbarn. Das Katzenstreu hatte Gott sei Dank seine Arbeit getan. Sämtlicher Geruch, auch der von Flüssigkeiten, war gebunden und bedeuteten für Ernesto keinerlei Gefahr mehr. Auch Tretminen jeglicher Art waren jetzt für Ernesto ungefährlich. 

„So eins will ich auch!“, waren seine Worte, als er vor lauter Begeisterung fast hinten über fiel. Gott sei Dank fiel er ja weich. Die ersten Besucher des Mondes mussten sich wohl ähnlich gefühlt haben wie Ernesto beim Wandeln durch das Katzenklo. Die Abdrücke, die er dort hinterließ, waren für die Ewigkeit. 

Also besorgte ich auch ein Katzenklo für Ernesto. Diese Erfahrung wollte ich ihm gerne zuteilwerden lassen. Wie ein Entdecker erforschte Ernesto sein neues Katzenklo, vermisste aber die Krater der Mondoberfläche. Zum selber Graben war er zu bequem, also nahm Ernesto mit Hilfe von übrig gebliebenen Silvesterknallern eine Veränderung der Oberfläche des Katzenklos selber vor, auf das diese der Mondoberfläche ähnlicher wurde. So ging er bald durch eine Kraterlandschaft, die ihresgleichen suchte. Vergeblich suchte er Meteoriten-Einschläge, die denen der Mondoberfläche ähnlich waren. Komischerweise gab es auch keine Garagen für Mondfahrzeuge aller Art. Auch die US-Amerikanische Flagge, die angeblich dort stehen sollte, suchte er vergebens. Doch nur Fake? Aber nein, nein, sie war nur umgefallen, konnte also nicht mehr wehen. 

So ging Ernesto der Frage nach, warum die Flagge umgefallen war und kam relativ bald zu der Erkenntnis, dass die Erschütterungen von einschlagenden Meteoriten dazu geführt haben mussten. Die Ähnlichkeit von Meteoriten-Einschlägen konnte zwar mit Hilfe der Silvester-Knaller ungefähr simuliert werden, aber dennoch konnten sie nur simuliert werden. Ein sehr viel echteres Bild boten aus großer Höhe abgeworfene Erdbrocken. Da ich aber nicht immer für Ernestos Feldversuche zur Verfügung stand, musste er selber einen Weg finden, diese in entsprechende Höhen zu katapultieren, um dann die Einschläge im Katzenklo zu analysieren. Mit Hilfe eines Balkens und eines Brettchens konnte er eine Wippe bauen, mit deren Hilfe dies gelang. Die Erdbrocken wurden zuerst hochgeschleudert und schlugen dann ins Katzenklo ein. Völlig beglückt über die Erkenntnis der Ähnlichkeit von Katzenklos und Mondlandschaften, war Ernesto versucht, bei der NASA anzufragen, ob Hinterlassenschaften von Katzen in der Mondoberfläche gefunden wurden. Die NASA antwortete aber leider bis heute nicht. 

Kowalski lebt

Bonjour Tristesse 

Unvermittelt sahen Waltraut und ich gleichzeitig an die Decke. Ein sehr in die Jahre gekommener Deckenventilator verrichtete dort seinen Dienst. Er hatte schwer damit zu tun, die Gerüche des Restaurants zu verteilen. Wäre es Sommer gewesen, hätte man Durchzug machen können, aber so blieben nur die Luftzüge, die der Ventilator im Raum verteilte. 

Der Mief des Tages stand trotz des Ventilators zäh im Raum. Die Luft mischte sich auch mit dem süßlichen Geruch der Schweißfüße des Chefkochs. Die Einlegesohlen mit Aktivkohle, die er gegen die Gerüche seiner Füße in seinen Schuhen hatte, hatten schon vor Jahren ihren Dienst quittiert. Nicht zuletzt seinen Schweißfüßen geschuldet war auch seine Menü-Auswahl. Er bevorzugte Gerichte aus der Bratpfanne, weil die so einen herrlichen Geruch verströmten, so glaubte er. Aber in Wirklichkeit war die Mischung aus Bratengeruch und Schweißfüßen unerträglich. Er bemerkte es zu spät, dass die Küche kein beliebter Ort zum Arbeiten war und das hatte nicht unbedingt mit den dort anfallenden Arbeiten zu tun. Sehr beliebt hingegen war der Servicebereich des Restaurants, sodass sich auch viele eigentlich in der Küche Arbeitende dort aufhielten. Das lauthalse Gelächter aus dem Servicebereich drang zu ihm durch und er überlegte kurz, ob er mal nach dem Rechten sehen sollte. So laut lachte in der Küche schon seit langer Zeit niemand mehr. Überhaupt war niemand mehr in der Küche, der so laut hätte lachen können. Dass sich die Mitarbeiter lieber im Restaurantbetrieb aufhielten, schob der Chefkoch – wenn er es denn bemerkte – eher auf die schlechte Arbeitsmoral denn auf seine Stinkefüße. 

Waltraut machte der Geruch wenig aus, gab es doch in dem Restaurant Schweinelendchen, die Waltraut liebte, Stinkefüße hin oder her. Den erbärmlichen Geruch im Restaurant nahm ich halt so hin. Einmal im Monat durfte sie der Bestimmer sein bei der Wahl der von uns angesteuerten Gaststätte. 

Der Deckenventilator konnte ja Gott sei Dank den Mief, den er so umwälzte, nicht riechen. Dem Deckenventilator ähnlich saß Waltraut fast stoisch im Restaurant. Die anderen Gäste ertrugen schwerlich das Duftpotpourri und verließen das Restaurant nach einem zünftigen Gemecker. 

Ach wären doch alle Menschen wie Waltraut! 

Herr Müller sieht die Welt

Waschmaschine 

Wenn Ernesto mal Lust auf Abenteuer hatte, setzte er sich auf unsere Waschmaschine, wenn diese gerade schleuderte. Wenn er mal entspannt schlafen wollte, ließ er sich auf die laufende Waschmaschine nieder. Die beruhigende Wirkung vom Waschgang sorgte für ein blitzschnelles Einschlafen bei Ernesto. Manchmal wollte er auch einfach nur Wäsche waschen. Dann war der hypnotische Blick durch das Bullauge der Waschmaschine für ihn von größtem Interesse. Mal hypnotisierte er Socken, mal Unterhosen, jedenfalls berichtete er mir stets ganz stolz, was er wieder im Bullauge der Waschmaschine gesehen hatte. 

Er begann, Vorhersagen mit Hilfe des Bullauges zu treffen. Da diese sich aber irgendwann stets im Kreis drehten, ging er doch dazu über, Geradliniges über zukünftiges Geschehen verlautbaren zu lassen. Die Vorstellung von zukünftigem Geschehen, das sich immer nur im Kreis drehen sollte, war ihm und mir doch zuwider. Der Ablauf von Zeit war ja auch eher eine Gerade als ein Kreis. Dennoch waren Wiederholungen in der Historie häufig anzutreffen. Man könnte fast meinen, die Wiederholung ist die einzige Konstante im menschlichen Handeln. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt, dass nicht immer die gleichen Fehler wiederholt werden. 

Vielleicht sollte so mancher heute politisch Verantwortliche mal vor ein Bullauge gesetzt werden, damit ihm die historische Tragweite seines Handelns bewusst wird. Wen man nun davor setzen würde, bleibt ja jedem selbst überlassen. Vielleicht wollen sie auch einfach nur Wäsche waschen. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch eher gering, dass sie das selber machen. Man stelle sich einen Trump oder Putin vor einem Waschmaschinen-Bullauge vor. Allein die Vorstellung davon genügt, um es auszuschließen, dass sie begreifen würden, dass ihre Fantasien auch schon historische Vorbilder hatten. 

Ernesto jedenfalls konnte noch im letzten Moment von mir daran gehindert werden, mit Hilfe der Waschmaschine Vorhersagen zu treffen, die dann per Telefon abgefragt werden konnten. Natürlich wäre entsprechendes Entgelt fällig gewesen, aber – wie schon gesagt – schob ich dem einen Riegel vor. 

Letztlich ließ sich nur feststellen, dass Waschmaschinen hervorragend sind, um darauf zu schlafen und mit ihnen Wäsche zu waschen, aber für Vorhersagen war ihre Aussagekraft zu vage. 

Herr Müller sieht die Welt

Blumenvase 

Jeden Freitag wurde unsere Blumenvase mit einem neuen Sträußchen von unserem Blumenhändler befüllt. Der Sinn von frischen Blumen eröffnete sich Ernesto zunächst nicht. Erst als der wöchentliche neue Strauß plötzlich ausfallen musste, weil der Blumenlaster aus Holland eine Panne hatte und damit keine neuen Blumen unser Blumengeschäft erreichten, bemerkte Ernesto, wie Blumen für ein angenehmes Interieur sorgten. 

Ernestos Vorliebe für Blumen ging Gott sei Dank nicht so weit, dass er Blumentapete oder florale Muster im Teppich haben wollte, aber die sehr beruhigende Art, wie Blumen das interne Design auflockerten, empfand er doch als sehr angenehm. Deshalb mussten wir mit Kunstblumen improvisieren und den Strauß auf unserem Küchentisch vorübergehend `faken`. 

Gefakte Dinge waren für Ernesto nichts Unbekanntes, machte er doch Erfahrungen mit gefakten Dingen im Internet. Der Schmuck, den er dort kaufte, war leider nicht echt, obwohl dieser auf den ersten Blick so aussah. Aber eine Halskette mit Diamanten für 3,99 Euro? Das konnte ja nicht sein. Spätestens nach Ernestos Rückfrage bei mir korrigierte Ernesto seine Haltung zu den angepriesenen Waren. 

Also gingen wir in Ermangelung echter Blumen daran, uns Kunstblumen aus Krepppapier oder Filz zu basteln. Die Verbundenheit mit den Sträußen war so doch ungleich höher. So kam es vor, dass ein Strauß mehrere Wochen auf unserem Küchentisch verweilte, bevor er ausgetauscht wurde. So als hauptberuflicher Staubfänger fristet man ja schon ein übersichtliches Leben. Dennoch schien es sinniger, Blumen mehrere Wochen zu behalten. Die Menge an Müll, den wir produzierten war so deutlich geringer. 

Überhaupt produzierten wir weit weniger Müll seit wir jetzt unseren Medienkonsum beschränkten, unter anderem weil wir die Zeit mit Basteln verbrachten. Wir kauften wesentlich weniger Unnötiges und man merkte, wie sehr unser Kaufverhalten von den Medien gesteuert wurde. Von dieser Erkenntnis aufgerüttelt gingen wir daran, Fernsehen jetzt nur noch bewusst zu schauen. Unnötiges blieb von unseren Augen verborgen. 

Das Basteln der Blumen war also mehr als das bloße Aufstellen von Blumen in einer Vase: Die Blume war nicht mehr nur einfaches Stehrumchen, sondern veränderte unser Leben! 

Kopfwürmer

Beamte 

Also um gleich mal den Menschen den Wind aus den Segeln zu nehmen: Es geht hier in erste Linie nicht darum, das Verhalten von Beamten zu bewerten. 

Das Beamtentum gab es bereits im alten Ägypten, China und im römischen Reich. Die neuzeitliche Prägung erfolgte durch das Beamtentum in Preußen. Auch die Gesetze stammen aus dieser Zeit. Zeitgemäß geht wohl anders. Obwohl einige Gesetze im Laufe der Zeit verändert wurden, sind die meisten Beamtengesetze etwas aus der Zeit gefallen. 

Angesichts der aktuellen Diskussion um die Existenz des Beamtentums kann jeder meinen, was er will. Über die Flexibilität von Beamtengesetzen kann man ja gerne streiten, aber ein Doppel-T-Träger ist flexibler. An dieser Stelle sei nur kurz darauf hingewiesen, dass ich eigene Erfahrungen mit dem deutschen Beamtenrecht machen durfte. Danke, reicht! 

Ist eigentlich schonmal jemandem aufgefallen, dass die englische Buchstabenkombination „ea“ im Deutschen wie „i“ ausgesprochen wird? Beamte sind also „gebeamt“, ohne es zu wollen. So als „Gebeamter“ lebt es sich eigentlich – trotz meiner Erfahrungen – ganz gut. Aber sie können eben mit einem machen, was sie wollen. Diese Willkür wird mit Unkündbarkeit mundtot gemacht. 

Jetzt könnte man den Eindruck kriegen, dass viele Beamte fremdgesteuert sind, dem – hoffe ich – ist nicht so, zumindest kann oder könnte jeder Beamte seinen Kopf zum Denken benutzen, denn wie ein von mir gern genutztes Sprichwort sagt: Selber denken, macht schlau! Also: Beamter sein ist manchmal schwer, selber denken nicht so sehr. In diesem Sinne: Amen. 

Man sagt ja oft, viele Köche verderben den Brei. Bezogen auf das Beamtentum hieße der Spruch wohl, viele Beamte haben noch lange nicht recht, auch wenn sie dies zu glauben scheinen. Es gilt wie immer der Grundsatz: Leben und leben lassen. 

Abschließend lässt sich sagen, dass es wohl am besten wäre, wenn sich alle Menschen so sicher fühlen könnten wie Beamte. Die endlose Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen sei hiermit eröffnet. 

Herr Müller sieht die Welt

Kino 

An so heißen Sommertagen gingen Ernesto und ich gerne in Kinos. Ich, weil sie durch die Klimaanlage angenehm temperiert waren, Ernesto, weil er großes Interesse am aktuellen Kinoprogramm hatte. Ihm konnte es ja bekanntlich gar nicht warm genug sein. 

Ernesto kam also in meine Hemdtasche. Seine Kommentare zum jeweiligen Film brauchte kein Mensch, aber wenn`s nunmal rausmusste, ließ ich ihn reden. Seine Kommentare waren manchmal relativ peinlich und da die Menschen glaubten, ich hätte gesprochen, trieb es mir die Schamesröte manchmal ins Gesicht. Hoch dramatische Filme wurden mit niederschmetternden Kommentaren bedacht. Zu langweilige Filme wegen der Länge kritisiert. Ich überlegte ernsthaft, Ernesto nicht mehr mitzunehmen. Diese Art der Bestrafung schien mir dann aber doch zu drakonisch zu sein. 

Sein Kommentar zum Film Titanic war, dass das ja wohl in der Jetztzeit wegen des Klimawandels nicht mehr zu einer realistischen Gefahr werden würde. Weil wegen des Klimawandels keine Eisberge mehr auf offener See schwimmen würden, folglich auch keine Schiffe mehr mit ihnen kollidieren können. Die ganze Thematik sei also mehr historisch. Aber für einen Historienfilm sei er gar nicht schlecht gemacht. Die darum herum gesponnene Liebesgeschichte war nicht so seins, aber er nahm es hin. Nicht zuletzt war er großer Fan von Leonardo DiCaprio und musste unbedingt alle Filme, in denen er mitspielte, sehen. 

Dass in Kinos gern genommene Popcorn war natürlich neben dem zu kommentierenden Film das beste Argument für einen Kinobesuch. Popcorn entwickelte sich alsbald zu Ernestos Lieblingsessen. Nur die ganzen Körner, die eben nicht aufgepoppt waren, aber sich dennoch mit in der Tüte befanden, ließen Ernesto bei dem Verzehr seines Popcorns die nötige Vorsicht wahren. Es war jetzt nur die Frage, ob Ernesto süßes oder salziges Popcorn bevorzugte. Je nach Film entschied er diese Wahl. Filme wie Titanic waren eher geeignet für die süße Variante, Filme wie Star Wars eher für die salzige. 

Die Auswahl des Filmes war mit Hilfe des dazugehörigen Popcorns immer schnell getroffen. Das aktuelle Kinoprogramm war also auf die Frage nach süßem oder salzigem Popcorn reduziert. Wären doch alle Entscheidungen so leicht zu lösen wie diese. 

Herr Müller sieht die Welt

Wackelpudding 

Es war, glaub ich, vorgestern oder gestern, auf jeden Fall nicht heute: Auf seinen Streifzügen durch unsere Wohnung entdeckte Ernesto in einer der hintersten Ecken unseres Kühlschranks eine Glasschale mit Wackelpudding, auch Götterspeise genannt. 

Fasziniert von diesem, von dessen Glibberigkeit, zeigte Ernesto darauf und war begeistert. Als ich ihm dann aber erklärte, woraus Wackelpudding gemacht wird, rümpfte er, sofern das geht, die Nase. Dieser wird nämlich überwiegend mit Gelatine aus Tier-Knochenmehl zubereitet. Das sei mal wieder typisch, dass so etwas wie Wackelpudding bei uns Menschen Götterspeise genannt werde, lamentierte Ernesto. Da konnte ich ihm kaum widersprechen, stellte sich doch für den Betrachter, erst recht tierischer Herkunft, das menschliche Nahrungs-Portfolio als ziemlich brutal dar. 

Zu meiner und Ernestos Erleichterung konnte Wackelpudding aber auch vegan hergestellt werden mit Agar-Agar. Dieser Ersatzstoff sorgte für die nötige Glibberigkeit und war eben pflanzlichen Ursprungs. Der bekloppt klingende Name musste wohl so hingenommen werden. Überhaupt ziehen immer mehr Ersatzprodukte in unsere Küche ein, Fleisch wird auf jegliche Weise imitiert. Im Zuge der Veganisierung unserer Küche bin ich bemüht, tierische Produkte zu ersetzen. Eigentlich macht die Suche nach Ersatzprodukten einem erst bewusst, wie oft man zu tierischen Produkten greift, obwohl das gar nicht nötig wäre. Ernesto aß ja eh am liebsten Gemüse aller Art. Erst recht, seitdem er bei Herrn Yilmaz das reichhaltige Angebot der Gemüsetheke zu kennen und schätzen gelernt hat. Genauso wie man vielen tierischen Produkten nicht ansah, dass sie eben nicht vegetarisch waren, sah man aber auch vielen pflanzlichen Produkten nicht an, dass sie eben rein pflanzlich waren. 

Um Irrtümern vorzubeugen, sei hier mal gesagt, ich esse gerne Fleisch, aber gutes Fleisch, gut für den Esser und gut in der Haltung. Gut heißt gesund. Ernesto bevorzugte Gemüse und konnte damit bestimmt glücklich werden. Wie man sieht, macht eine Wertung hier gar keinen Sinn. Manche mögen Fleisch, manche nicht, Punkt! Vielleicht wäre die Menschheit mehr beglückt von mehr gegenseitiger Toleranz, egal ob Vegetarier, Veganer, Flexitarier oder was auch immer. Ernesto genoss seinen Wackelpudding jedenfalls auch weiterhin, nur eben jetzt vegan mit Agar-Agar. 

Herr Müller sieht die Welt

Ovomaltine

Normaler Kaffee hatte auf Ernesto eine viel zu anregende Wirkung, von daher suchte er verzweifelt Ersatz für den Kick des Kaffees. Er fand ihn zumindest geschmacklich bei Ovomaltine und Caro Kaffee. Die Wirkung des Kaffees war jetzt wie gewünscht, nicht mehr explosiv, sondern im Chillmodus. Das widersprach natürlich der angedachten Wirkung von Kaffee, weil eine merkliche Steigerung seiner Leistungsfähigkeit war schwer feststellbar. Aber im Gegensatz zu Traubenzucker, das ja nun nachweislich keine positiven Auswirkungen auf Ernesto hatte, war die Wirkung von Ersatzkaffee für Ernesto eher positiver Natur. 

Ovomaltine war jetzt neben dem gewöhnlichen Pulver zum Einrühren in Milch seit neuestem (jedenfalls von mir bemerkt) auch als Brotaufstrich zu erhalten, der war gar nicht so unlecker. 

Für konservative Gemüter war dies freilich nix, da musste man schon „open-minded“ sein, wie der Volksmund so schön sagt. Ein Brotaufstrich ähnlich wie Nutella war sicherlich zunächst gewöhnungsbedürftig, konnte dann aber in seiner Dauerhaftigkeit auch den letzten Frühstücks-Paranoiker überzeugen. Ovomaltine begegnete einem ja nun auf dem Frühstücksbrötchen, das muss man erstmal begreifen. 

Die Wahl der dazu passenden Brötchen war keine einfache. Nach einigen Versuchen legte ich mich auf Mohnbrötchen fest. Sie umschmeichelten meinen Gaumen in Kombination mit Ovomaltine am angenehmsten. Normale Brötchen oder Mehrkornbrötchen konnten da nicht mithalten. Ernesto mochte Ovomaltine als Brotaufstrich am liebsten mit Sesambrötchen, Mohn war ihm in seiner Aussage zu absolut und erinnerte ihn viel zu sehr an die Mohnplantagen in Afghanistan, wobei die ja wohl einem anderen Zweck dienten. 

Bei der Wahl der geeigneten Brötchen half uns nicht zuletzt unser Bäcker im Kiez. Die von ihm vorgeschlagenen Hanfbrötchen erinnerten zu stark an Vollkornbrötchen, außerdem konnte für ihre Herstellung nur Nutzhanf verwendet werden. Damit schmeckten sie ein bisschen wie Trill, das Vogelfutter, da aber die Anzahl der Brötchen kaufende Wellensittiche gering war, entschieden der Bäcker und wir, die Auswahl der Brötchen doch nur auf Mohn und Sesam zu beschränken. 

Ovomaltine wurde von Ernesto also nun nicht nur als Kaffee-Ersatz getrunken, sondern konnte von ihm auch auf seinen Lieblingsbrötchen genossen werden. 

Kowalski lebt

Gewohnheit 

Manche nennen es Gewohnheit, zu lieb gewonnenen Gewohnheiten sage ich nur Marotten. Wenn Marotten nämlich in den Alltag Einzug finden, werden Gewohnheiten zu Marotten. Für manche sind ja Marotten was Schlechtes, für mich nicht. Also: keine Angst vor Marotten! Marotten sind die Krönung der Gewohnheiten, weil erst durch sie werden einem Gewohnheiten bewusst. Verwirrt? Das müssen Sie nicht sein. Solange einem klar ist, wo oben und unten ist, ist alles gut. Das kann man schnell feststellen, indem man mal etwas hochwirft, zumeist fallen die Dinge nach unten. Damit hätte man schon zwei Richtungen bestimmt – oben und unten ist also klar. Sollten die Dinge nach oben fliegen, würde ich mir mal Gedanken machen, ob ich mich noch auf der Erde befinde oder ich habe meine Schwerkraft-Rechnung nicht bezahlt. Ein bisschen Schwerkraft braucht es schon, um festzustellen, was oben und unten ist. 

Zurück zu Gewohnheiten und Marotten. Lieb gewonnene Gewohnheiten sind also Marotten. Für Waltraut ist eine lieb gewonnene Gewohnheit, dass sie immer an der dritten Laterne in unserer Straße das Bein hebt. Bis heute hat ihr niemand gesagt, dass Weibchen nicht das Bein heben, um sich zu erleichtern, aber ist ja auch egal. Es hat ihr ja auch noch keiner beigebracht, bis drei zu zählen. Trotzdem macht sie es. Warum? Keine Ahnung! Entscheidend ist, dass sie immer an der dritten Laterne innehält aus welchen Gründen auch immer. Meinetwegen könnte sie dort auch einen Rosenkranz beten, wobei ich natürlich nicht die Rosenkranz-Beter unter uns beleidigen möchte, sondern damit nur sagen wollte, dass es mir egal ist, warum Waltraut an der dritten Laterne innehält. 

Eine meiner Marotten ist, stundenlang meine Lesebrille zu suchen und dabei nicht zu merken, dass sie oben auf meiner Stirn sitzt – sehr zur Belustigung von Waltraut, die mir natürlich nicht sagt, dass sie die ganze Zeit auf meinem Kopf sitzt, sich aber dabei köstlich amüsiert und leise in sich hinein grinst. Waltraut ließ mich dann stets ein Backrezept vorlesen und als ich – indem ich für`s Lesen meinen Kopf leicht nach vorne neigte – dann Wunder, oh Wunder wieder meine Lesebrille auf der Nase hatte, mussten wir uns darüber beide kaputt lachen. Marotten machen einen aus und man muss sie mit Humor nehmen können. Ach wären doch alle Menschen wie Waltraut! 

Herr Müller sieht die Welt

Klimawandel 

Der Klimawandel hatte zumindest für Ernesto etwas Gutes. Während alle Welt unter zunehmender Hitze stöhnte, genoss er sein Leben in der Sonne in dem Pool auf unserem Balkon. Für ihn hätte es durchaus noch einige Grad wärmer sein können, aber aus Rücksicht auf ältere Menschen war es okay so. Ihm selbst konnte es gar nicht warm genug sein. Also wäre als logische Schlussfolgerung daraus gewesen, dass die ganze Welt nur noch eine Klimazone sein sollte. Das stand aber weder bei der UNO noch sonst irgendwo zur Diskussion. 

Ich hatte ja schon Probleme aufgrund der Höhe unseren Balkon zu betreten, einzig die Fürsorge für Ernesto ließ mich gelegentlich mal auf den Balkon gehen. Höhenangst war eine andere Sache, die mit der Zeit unbedingt von mir bewältigt werden müsste. Für mich war die Hitze unerträglich, sodass Ernesto in seiner Begeisterung für die Hitze gebremst wurde. Er merkte, dass sie mir nicht ganz so gut tat und ich regelmäßig für Abkühlung sorgen musste. Ernestos Tipp mit den Hakle-Feucht-Tüchern war für mich nicht ganz so sinnig, zumal es extrem bescheuert aussah und unangenehm roch. Aber mit Wasser angefeuchtete Lappen und Tücher brachten auch mir Abkühlung. 

Zu Hoch-Zeiten, also im Hoch-Sommer, war unsere gesamte Wohnung in jedem Raum mit einem Ventilator ausgestattet, nur die Zimmer von Ernesto blieben davon ausgespart, er brauchte ja keine Abkühlung. Die Ventilatoren verrichteten ihr Werk auf sehr angenehme Weise, weil sie das Raumklima mit den vorgehängten nassen Lappen doch beträchtlich herunterkühlten. Auch die zunehmende Bepflanzung der Innenstädte sorgte dafür, dass versiegelte Flächen jetzt wieder von Pflanzen bewohnt wurden und dies für Kühlung sorgte. 

Im Kampf gegen die zunehmende Hitze hatte ich noch die Idee, nasse Unterhemden zu tragen. Das war aber auch nur bedingt praktikabel, also nur dann, wenn man sonst nichts mehr vorhatte. Die nassen Unterhemden sorgten dafür, dass die darüber getragenen Oberhemden oder T-Shirts mit der Zeit auch durchnässt wurden und man sah stets durchgeschwitzt aus. Was richtig gut aussah, waren nasse Hüte, aber die Redewendung „Hast du `nen nassen Hut auf?“ hielt mich davon ab, dann doch einen selbigen aufzusetzen, auch wenn es angenehm kühl war. 

Ich fürchte, den Klimawandel als solchen kann man jetzt nur noch bedingt aufhalten, wir können uns nur an das Klima anpassen, das wir verursacht haben.