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Kopfwürmer

Halbwahrheiten

Im Gegensatz zur völligen Wahrheit zeichnen sich Halbwahrheiten dadurch aus, dass sie hauptsächlich Vermutungen sind, die erst durch die Realität bestätigt werden müssen. 

Da auch dieses nur eine Vermutung von mir ist, bin ich auf der Suche nach der absoluten Wahrheit. Die Suche nach der absoluten Wahrheit ist ein Weg mit unbekannten Größen, da das Ziel noch nicht bekannt ist. Auf dem Weg zur absoluten Wahrheit mache ich daher erstmal Rast. Innehalten soll ja bekanntlich förderlich sein für das Denken. Ob und inwieweit sich das auf die Suche nach der absoluten Wahrheit auswirkt, weiß ich ja noch nicht. Aber es gibt mir zumindest erstmal das Gefühl, was getan zu haben. … 

Mein Versuch, nach der Rast wieder ins Denken zu kommen, war nur teilweise erfolgreich. Jeder kennt ja die Rastplätze an Bundesstraßen oder an Autobahnen. Dass diese eher Toiletten gleichen, liegt an den Benutzern derselben. Den eigentlichen Zweck der Rastplätze möchte ich mal wieder betonen dadurch, dass ich auf ihnen ein Butterbrot esse, auch wenn dies einige Überwindung kostet. Sie sollen den Fahrer dazu anhalten, gelegentlich mal eine Pause im Kilometerfressen zu machen. Ein Butterbrot hilft dabei ungemein, es regt die Denkfähigkeit des Betroffenen immens an. 

Also beschließe ich, jetzt meinen Blutzucker hochzufahren und mit der Pause zu kombinieren. Tatsächlich fällt mir nun das Denken leichter, deshalb zurück zu den Halbwahrheiten: 

Wenn man also mit einem binären Code arbeiten würde, bei dem 1 die absolute Wahrheit wäre und 0 die Unwahrheit, dann wäre – zumindest dem Verständnis nach – die Halbwahrheit darunter anzusiedeln, also bei -1. Denn die Halbwahrheit gilt im allgemeinen Sprachgebrauch noch weniger als die Unwahrheit. 

Die Halbwahrheit wäre also mit dem schlecht gewordenen Rollmops zu vergleichen, da hat man doch lieber keinen als einen schlecht gewordenen. Ein gewisser Trump aus dem fernen Amerika wird dann also schnell überführt, weil Fake News dann zum Himmel stinken. Halbwahrheiten und Unwahrheiten sind die zwei Seiten derselben Medaille, beide verfolgen hier den Zweck, von der Wahrheit abzulenken. Die Medaille der Halb- bzw. Unwahrheiten möchte aber keiner, gerade angesichts der Olympischen Spiele, umgehängt bekommen. 

Also lasst uns doch einfach bei der Wahrheit bleiben, auch wenn sie manchmal weh tut. 

Herr Müller sieht die Welt

Frühsport

Wir saßen wie an jedem Wochenende beim gemeinsamen Frühstück und ich wollte gerade in ein leckeres Käsebrötchen beißen, als mich Ernesto unvermittelt von der Seite ansprach und sagte: „Angesichts deines Doppelkinns wäre es doch mal höchste Eisenbahn, etwas Sport zu machen.“ Darum hatte er sich überlegt, dass wir jetzt jeden Tag vor dem Frühstück Sport treiben sollten. Mein Einwand, dass das angesichts der frühen Öffnungszeiten des Amtes, auf dem ich arbeite, kaum möglich sei, wischte er mit den Worten hinfort: „Dann eben nachmittags.“ 

So wurde der Frühsport zum Nachmittagssport, was aber in seinem Effekt gar nichts ausmachte. Für uns beide nicht, weil kein Mensch im Falle von Ernesto wusste, wie es unter seinem Panzer um seine Figur bestellt war. Im Gegensatz zu uns Menschen und der uns umgebenden Bekleidung konnte man eben bei Schildkröten nicht einmal erahnen, wie es im Panzer aussah. Nur anhand der Extremitäten, also Armen und Beinen, konnte man sehen, ob es sich um eine wohl genährte oder ausgehungerte Schildkröte handelte. Ernesto war eher wohl genährt, von daher machte ein bisschen Sport für ihn durchaus Sinn. 

Die Geräte auf dem Trimm-Dich-Pfad in unserem Park standen schon viele Jahre lang verwaist und der Witterung ausgesetzt herum und dienten maximal als Sitzgelegenheit. Bei unseren Überlegungen in punkto Fitness hatten wir aber schlichtweg vergessen, dass die Geräte nicht für Schildkröten, sondern für Menschen und ihre Körpergröße gemacht waren. Das stellte uns natürlich vor ein Problem: Wir mussten die Geräte für Ernesto entsprechend anpassen und die Übungen auf ihn zuschneiden. So wurde zum Beispiel der Klimmzug dahingehend abgewandelt, dass Ernesto von mir an einen tief hängenden Ast gehängt wurde. Die Angst herunterzufallen ließ ihn erstaunlich viele Klimmzüge schaffen. Die Übung zum Balancieren wurde von uns kurzerhand auf das Hochkantformat gekippt, soll heißen, Ernesto machte die Übung auf die Seite gedreht, also auf zwei Beinen. Ihr denkt, das geht nicht? Bei Ernesto schon! 

Unsere gemeinsamen Mahlzeiten ließen wir uns jetzt angesichts unseres Sportprogramms doppelt schmecken. Ernestos Versuch, doppelt so viel zu essen, konnte durch mein beherztes Eingreifen im letzten Moment noch abgewendet werden. Auch Ernestos Vorschlag, unsere sportlichen Aktivitäten in ein Rahmenprogramm mit Hula-Tänzerinnen zu setzen, fand meine Zustimmung nicht. 

Kurzum: Sport und Ernährung sollten sich die Waage halten, damit selbige nicht zum Stein des Anstoßes werden. 

Kowalski lebt

Briefkästen 

Die Briefkästen der Hausbewohner unseres Mietshauses fristeten ein trostloses Dasein. Diese Mahnmale der schriftlichen Kommunikation verkamen zusehends. Sie verkamen mehr und mehr zur Aufbewahrungsbox für Werbesendungen. Da diese keiner haben wollte, wurden sie achtlos weggeschmissen – häufig genug eben nicht in den von mir dafür vorgesehenen Mülleimer, sondern irgendwo ins Treppenhaus. Das ging natürlich gar nicht! Man hatte schon Probleme beim Erledigen der Hauswoche damit, um die Werbung herumzufegen. 

Ähnlich den Spam-Botschaften in meinem E-Mail Account waren diese ungebetenen Gäste permanent und überall. Die Aufkleber „bitte keine Werbung“ an den Briefkästen wurde konsequent ignoriert. Aber was bringt es, sich darüber aufzuregen. In der Ruhe soll ja die Kraft liegen und kräftig genug bin ich ja. Wenn ich kräftiger werden will, gehe ich in ein Fitnessstudio. 

Ich ging einfach dazu über, die Briefkästen nach innen unseres Hauses zu verlegen, sodass alle, die Werbung oder Ähnliches in die Briefkästen schmeißen wollten, erst einmal ins Treppenhaus gelangen mussten. Viele Hausbewohner beschwerten sich zunächst über meine Maßnahme, waren dann aber doch davon überzeugt, nachdem sie merkten, dass kaum noch Werbung in die Briefkästen geschmissen wurde. Die Aufforderung, keine Werbung einzuwerfen, wurde jetzt so gut wie immer befolgt. Der Postbote verfügte über einen Haustürschlüssel, um den Zugang zu den Briefkästen zu behalten. 

Wenn das Problem mit meinen Spam-Nachrichten doch nur genauso leicht zu beheben wäre! Dazu habe ich von E-Mails und diesem ganzen Kram einfach zu wenig Ahnung. Die Sache mit der Haustür war da erheblich einfacher für einen so analogen Menschen wie ich es bin. Überhaupt analog: Ich mag ja auch gar keine Digitaluhren, die Träger von Digitaluhren waren für mich immer durchgeknallte Typen. Analoge Uhren sind an Vollkommenheit unübertroffen und erfordern vom Träger ein Mindestmaß an Denkfähigkeit. Die Transferleistung, die eine analoge Uhr vom Träger erfordert, kann häufig gar nicht mehr erbracht werden. Die Kinder in unserem Haus sind nicht mehr dazu in der Lage, analoge Uhren abzulesen, wie ich neulich festgestellt habe. Ein Unding! Früher war es selbstverständlich, die analoge Uhr lesen zu können. Das Selberdenken sollte wieder mehr bei den Menschen in den Vordergrund rücken. Die Digitalisierung führt dazu, dass immer weniger Menschen selber denken. 

Ach, wären doch alle Menschen wie Waltraut! 

Herr Müller sieht die Welt

Uniformen 

Träger von Uniformen tragen sie ja häufig, damit man sie einer bestimmten Gruppe zuordnen kann. Ernesto trug seinen Panzer mehr oder weniger unfreiwillig. Dass dieser wie eine Uniform wirkte, war von ihm nicht beabsichtigt. Trotzdem war mir keine Schildkröte bekannt, die keinen Panzer hatte, also wirkte auch dieser Panzer wie eine Uniform. 

Von mir darauf hingewiesen, empörte sich Ernesto, dass ihn niemand gefragt hatte, ob er ihn tragen möge. Das martialische Äußere von Panzern im Allgemeinen und von Schildkröten im Besonderen konnte nur durch ein pazifistisches Verhalten von Ernesto widerlegt werden. Gesprächskreise waren von Ernesto nach einmaligem Erlebnis gemieden worden, weil es ihn weniger interessierte, wie APO1

1 Außerparlamentarische Opposition, der Begriff stammt aus den 60er Jahren, Mit-Anführer war Rudi Dutschke, Mitbegründer der Grünen trotz des auf ihn verübten Attentats -Opas die Welt sahen, zumal die dort besprochenen Themen ihn nicht betrafen und nicht interessierten. Außerdem kamen die Erzählungen der APO-Opas Kriegserzählungen gleich und auf die hatte Ernesto nun echt keine Lust. 

Sein pazifistisches Äußeres trug er eine Weile durch die Bemalung seines Panzers mit dem Peace-Zeichen öffentlich zur Schau. Dass er dann wiederum von Mitbürgern darauf hingewiesen wurde, dass die Helme der GIs im Vietnamkrieg häufig die gleiche Bemalung hatten, ließ ihn auch von dieser Abstand nehmen. 

Sein pazifistisches Ansinnen ließ sich also nur über sein friedliches Verhalten verdeutlichen. Nur die Leute vom Kiosk im Kiez wussten um seine pazifistische Einstellung. In den Gesprächen mit ihnen machte er diese Haltung immer verstärkt deutlich. Bei Flachmännern und Dosenbier ließ sich gut diskutieren und der Pazifismus brach sich so manches Mal in Ernestos Erzählungen Bahn. Häufig genug konnte Ernestos Ansinnen erst mit Hilfe von Flachmännern und Dosenbier den Umstehenden deutlich gemacht werden. Das friedliche Wesen von Trinkhallen-Besuchern war Ernesto ein Anliegen, zumal auch er oft und gerne dort konsumierte. Erst die beobachteten Auswirkungen von Flachmännern und Dosenbier ließen ihn davon Abstand nehmen. Zukünftig wollte er Milch oder Limonade trinken, diese waren auch besser für den Teint, so wurde ihm glaubhaft versichert. 

Milch und Limonade vertrugen sich sehr gut mit seiner Art von Uniform. Ein Panzer ist ja nicht immer nur ein Kriegsgerät. 

Herr Müller sieht die Welt

Ernesto und die KI 

Ernesto hatte von KI gehört und wollte von mir wissen, ob es auch für ihn infrage käme. Ähnlich wie Computer verlange die KI vom Benutzer, neudeutsch User, eine gewisse Grundintelligenz, weil ohne diese gehe auch hier gar nichts, erklärte ich ihm. 

Ernesto war grundmotiviert für die Benutzung der KI, war er doch davon überzeugt, dass die KI ihm dann erst recht eine große Hilfe sein konnte, bei was auch immer. Er hatte aber nicht bedacht, dass KI nicht für Schildkröten gemacht ist. Der Panzer und die doch recht kurzen Extremitäten machten seine Anfragen relativ unbrauchbar für Schildkröten, da die KI mit Schildkröten als User nicht rechnete. KI und Schildkröten passten einfach nicht zusammen, um es mi den Worten eines großen deutschen Humoristen auszudrücken. Ernestos Verlangen nach KI gipfelte in dem Wunsch, dass die KI alle Wünsche einer Schildkröte berücksichtigen können sollte. 

So kam es, dass Ernesto einen geharnischten Brief an Microsoft schrieb, in dem er verlangte, dass endlich auch mal Schildkröten als User in deren Software Berücksichtigung fanden. Außerdem schlug Ernesto vor, als Kontrapunkt zu Apple das Firmenlogo der Tomate zu wählen, weil er diese ja für sein Leben gerne aß und er fand, dass Tomaten viel zu wenig Beachtung fanden in dieser Welt. Dabei müsse ein Bewusstsein, welche Rolle Tomaten in dieser Welt spielten, geschaffen werden. Microsoft sei – ähnlich wie die Tomate – ein unentbehrlicher Bestandteil des Lebens, so sein Argument. Außerdem verwies er darauf, dass gerade Schildkröten als User für ein Unternehmen wie Microsoft von Bedeutung seien, da sie viele neue Techniken benutzten und somit für sie ein interessanter Absatzmarkt wären. 

Wider meines Erwartens antwortete Microsoft umgehend und verwies darauf, dass Schildkröten als User ihre Software bisher doch eher seltener nutzen wollten, sodass Ernesto mit seinen Ideen doch eher zu einer Randgruppe gehören würde. Seine Ideen fanden sie trotzdem bedenkenswert und versprachen daher, diese zukünftig in ihre Überlegungen mit einzubeziehen. Das Tomaten-Logo war ihnen jedoch zu nah am Apfel, sodass Ernestos Vorschlag hier kein Gehör fand. 

Das Antwortschreiben von Microsoft führte dazu, dass Ernesto zunächst einige Tage über dem Erdboden zu schweben schien, aber nachdem er dann von mir auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wurde und eine Ausbildung im Silicon Valley nicht mehr als das anzustrebende Ziel sah, lebte er wieder zufrieden und glücklich im Hier und Jetzt. Nicht zuletzt half dabei ein Abendbrot mit Tomate und Salat an unserem Küchentisch. 

Kowalski lebt

Bratwurst to go 

Nachdem Waltraut und ich sämtliche Fastfood-Imbisse probiert hatten, derer wir so habhaft werden konnten, beschlossen wir, nachdem uns das Essen nicht geschmeckt hatte (Herr Müller hatte mir außerdem erzählt, dass dieses Essen nicht gut für den Regenwald sei), wieder zur guten, alten Bratwurst zurückzukehren, Fastfood und Regenwald hin oder her. 

Die Bratwurst gab es auf unserem Wochenmarkt. Da waren die Wege für die Produzenten nicht so weit, weil die Bratwurst in der Nähe unseres Wochenmarktes hergestellt wurde. Sehr zur Freude des Besitzers, wurden wir schnell zu Stammkunden an der Imbissbude. Auch Schaschlik und Rippchen fanden unsere Zustimmung. Als Beilage probierten wir wahlweise Pommes oder Salat, waren aber von beidem nicht so angetan, sodass wir alsbald dazu übergingen, den Hauptgang ohne Beilagen zu konsumieren. 

Auch waren wir beide eher stationäre Esser, ambulant war eher nicht so unser Ding. Stationär heißt in diesem Fall, dass wir uns zum Einnehmen der Mahlzeiten stets an einen der Tische setzten und nicht das Essen unterwegs, also ambulant oder `to go`, herunterschlangen. Bei unseren stationären Imbissaufenthalten machten wir Bekanntschaft mit Bewohnern des Hauses von schräg gegenüber unserer Straße. Auch diese besaßen einen Dackel namens Gorbi, der ebenso wie Waltraut sehr gerne Bratwurst ohne Beilagen verspeiste. Aber im Gegensatz zu Waltraut genoss Gorbi seine Bratwurst stets mit Ketchup, wobei er feine Unterschiede machte, ob diese aus dem Pumpspender oder der Aufriss-Tüte kam. 

Der Besitzer der Bratwurstbude als Postillon d`Amour, man könnte ihn auch Tinder vom Wochenmarkt nennen, war sich seiner Rolle als Amor gar nicht so bewusst, aber er war sehr erfreut, als er vom Glück von Waltraut und Gorbi hörte. Gorbis Herrchen war selbstständiger Schmuckhändler, wobei er vor allem Modeschmuck verkaufte. Dieser nicht so hochwertige Schmuck war zwar billig in der Herstellung, aber hübsch anzuschauen. Jegliche Form des Schmuckes waren für Waltraut und mich dennoch überflüssig, da nur die inneren Werte von Mensch und Hund zählten. 

Die wahre Einsicht lag für Waltraut in der Erkenntnis, dass Menschen wie Bratwürste seien: Von außen konnten sie noch so verlockend sein, zählen taten nur die inneren Werte, da man diese schmecken konnte. 

Ach, wären doch alle Menschen wie Waltraut! 

Herr Müller sieht die Welt

Rucksack 

Ernesto wollte zukünftig auf unseren Wanderungen gerne die Brotzeiten selber transportieren. Leider war ein Rucksack bisher für ihn schwer zu tragen, da dieser ihm immer auf den Kopf rutschte. Nach mehreren Versuchen mit Geldgürteln, die um seinen Panzer gespannt waren, stellten wir schnell fest, dass alleine das Volumen des Rucksacks nur vom selbigen erreicht werden konnte. Jetzt musste also das Problem der Befestigung des Rucksacks am Panzer gelöst werden, ohne dass ihm selbiger ständig auf den Kopf rutschte. 

Spanngurte konnten eine Lösung sein, zumindest halfen sie bei der Befestigung des Rucksacks, wenn auch nicht direkt am Panzer, sondern indirekt an den Spanngurten. Die Spanngurte wurden um den Panzer gewickelt, festgezurrt und dann der Rucksack an ihnen befestigt, aber eben am hinteren Teil des Panzers, sodass Ernesto der Rucksack dann eben nicht mehr auf den Kopf rutschen konnte. Trotzdem blieb die Füllmenge des Rucksacks relativ begrenzt. Da dieses Problem nicht behoben werden konnte, blieb das meiste zu Transportierende dann doch an mir hängen. 

Bei unserem nächsten Ausflug trug Ernesto dann kleine Getränkeflaschen. Schnell merkten wir, dass große Flaschen doch von mir getragen werden mussten. Getränke nur in Flachmanngröße waren nicht immer hilfreich bzw. wollten wir durch Betrunkensein nicht zu sehr auffallen. Brotzeiten und ganze Würste passten nicht in Ernestos Rucksack, von daher war die ganze Aktion relativ für die Tonne, auch wenn Ernesto selber darum bemüht war, mich zu entlasten, war es ihm so nur bedingt möglich. 

Meine abschließende Idee zu dem Thema war noch, Ernesto einen Bollerwagen ziehen zu lassen, in dem unsere Brotzeit-Utensilien verstaut werden konnten. Aber auch diese Möglichkeit erwies sich bei genauem Ausprobieren als nicht wirklich praktikabel, weil der Wagen Ernesto an Steigungen an der Deichsel hochhob. Da Ernesto an der Deichsel befestigt war, hatte er dann keinen Kontakt mehr zum Boden. Ich konnte zwar über dieses Bild lachen, aber Ernesto nicht so. Von daher blieb alles beim Alten, die Getränke und unser Brotzeit-Equipment wurden wieder von mir befördert. 

Es zeigte sich wieder einmal, dass ein Rucksack zwar gut gedacht ist, aber eben nicht für jedes Lebewesen geeignet ist. Erst der Versuch macht klug: Schildkröten und Rucksäcke passen einfach nicht zusammen. 

Herr Müller sieht die Welt

Fußleisten 

Bei seinen Dauerläufen durch sein Zimmer und den Flur kam Ernesto auf die Idee zwecks besserer Kurvenlage, dass doch Fußleisten die Spurtreue für ihn erheblich verbessern würden. Ähnlich wie durch Leitplanken auf der Autobahn war Ernestos Weg so vorgegeben. Mehrere Male waren diese auch durchaus hilfreich. Aber dann hing Ernesto in einer Kurve plötzlich über der Leitplanke bzw. Fußleiste. Mit so einer Fußleiste unter dem Panzer kreisten aber seine Extremitäten in der Luft. 

Wach gerüttelt durch diesen Vorfall war Ernesto jetzt umso vorsichtiger bei seinen Dauerläufen durch die Wohnung. Trotzdem wollte er sich den Spaß an den Kurven nicht nehmen lassen und ging diese umso waghalsiger an. Ähnlich einem Testgelände wurden die Kurven zu Steilkurven, wie man es von so manchem Rennkurs kennt. Wieder flog er aus der Kurve, überschlug sich diesmal sogar. Meinen Rat, die Kurven im Auslauf mit Schaumstoff auszukleiden, nahm er dankbar auf. Das Problem, das sich ergab, war, dass die Türen nicht mehr geschlossen werden konnten, da auch die Türzargen mit Schaumstoff ausgestattet werden mussten. Wir mussten also einen Kompromiss finden zwischen Türen schließen und Sicherheit für den Läufer gewährleisten. Dieser bestand dann darin, dass wir uns darauf einigten, dass Ernesto bei seinen Läufen durch die Wohnung einen Helm trug. Wie schon beim Gokart-Fahren bestand sein Helm aus einer ausgepolsterten halben Walnussschale. So war sein Kopf immer ausreichend geschützt und die Türen konnten geschlossen bleiben. Außerdem sah Ernesto so sehr viel sportlicher aus als ohne, besonders da Ernestos Helm über Streifen verfügte, die wir mit Tipp-Ex selber aufgemalt hatten, und somit die Sportlichkeit des Träger unterstrichen wurde. 

Letztlich machten die Fußleisten die Fußböden nicht generell sicherer für die Besucher unserer Wohnung, außer sie trugen einen Helm, aber das konnte ich ja auch nicht von allen Gästen verlangen, zumal sich das Problem vor allem für bodennahe Tiere ergab. Waltraut verweigerte sich dem Helm total entgegen unserer Empfehlung. Sie sagte, in solchen Geschwindigkeiten bewege sie sich gar nicht mehr. Das sei vor allem für die jungen Hüpfer unter uns von Bedeutung, so meinte sie weiter. Letztlich rutschte sie auf dem glatten Parkett unseres Flures aus und fiel unglücklich auf die Fußleisten. Es sei dahingestellt, ob der Sturz mit einem Helm glimpflicher abgelaufen wäre, aber sie wurde ja von uns gewarnt. Fußleisten sind eben doch keine Leitplanken. 

Herr Müller sieht die Welt

Rollbrett 

Die vor Jahren mal sehr angesagten Fingerboards eignen sich wunderbar als Untersatz für die mobile Schildkröte. Mit ihrer Hilfe kann sich die Schildkröte von heute selbstständig von A nach B bewegen und das mit atemberaubender Geschwindigkeit! 

Waltraut war sichtlich eingeschüchtert von der Geschwindigkeit, die Ernesto jetzt so an den Tag legte, da kam sie kaum hinterher. Aber der Weg musste eben sein, durfte keine Schwellen enthalten. Ernesto selbst war schwer beeindruckt von sich und der neuen Geschwindigkeit, die er jetzt erreichen konnte. Die Unmittelbarkeit der Bodennähe war nun größer und von daher nicht vergleichbar mit seinen ferngesteuerten Autos. Wie gesagt, der Boden musste eben sein, daher waren Turnhallen oder Ähnliches, zum Beispiel unsere Garage, ideal zum Skaten. Unsere Garage wurde jetzt zum Skatepark. Immer mehr Rampen aller Art fanden Einzug und bald war unsere Garage ein Hotspot für alle inline-skatenden und rollbrettfahrenden Tiere dieser Stadt. Es war neu, dass Kleintiere jetzt in einem Skatepark ein Zuhause fanden. 

Viele Kleintiere bzw. deren Besitzer baten um Einlass. Aufgrund des Ansturms mussten wir also eine Auswahl treffen. Wir nutzten das englische „first come, first serve“ als Auswahlkriterium, was aber bald dazu führte, dass viele Kleintiere bereits morgens um 7 Uhr vor unserer Garage standen. Daher verkauften wir bald Stundentickets, damit jeder mal über unseren Garagenboden gleiten konnte. 

Nach einiger Zeit entschieden wir uns dazu, Wettkämpfe zu veranstalten. Teilnehmen konnte eigentlich jeder, der sich für geeignet hielt. Die Jury bestand aus Ernesto und mir, Waltraut und Herrn Kowalski und weiteren Bewohnern des Hauses. Waltraut und Herr Kowalski strichen schnell die Segel, weil ihnen das Ganze zu schnell und zu wuselig war. Sie wurden durch Ernie und Bert ersetzt, die sehr dankbar für das in sie gesetzte Vertrauen waren. Der von uns angesetzte Wettbewerb aller Kleintierskater war der Beginn eines neuen Trends, im darauffolgenden Jahr formierte sich eine Weltmeisterschaft für Kleintiere im Skaten. Nie hätten Ernesto und ich gedacht, dass wir damit einen solchen Trend lostreten würden. Die Vorentscheidungen für die anstehende WM fand bei uns, den Vätern des Skatens für Kleintiere, statt. Natürlich war das eine große Ehre für uns, aber die Vorbereitungen darauf bedeuteten für uns auch eine Menge Arbeit. 

Man hat es nicht leicht als Trendsetter… 

Herr Müller sieht die Welt

Feinripp 

Der letzte Schrei sollte auch Schildkröten nicht vorenthalten werden. Feinripp war jetzt wieder hochaktuell, so musste auch Ernesto unbedingt ein Feinripp-Leibchen tragen. Boxershorts in Feinripp standen ihm nicht so gut, von daher trug er schnell Feinripp-Unterhemden. Dass man von seiner Umwelt damit immer in eine bestimmte Schublade gesteckt wurde, kümmerte Ernesto nicht. Er war der Ansicht, dass man erstmal den Träger kennenlernen sollte, bevor man sich seine Meinung bildet. 

Im Feinripp-Unterhemd ging er dann zu seinen Kumpels am Kiosk unseres Kiezes und philosophierte mit ihnen über das Leben als Schildkröte. Manchmal brachte er strittige Fragen vom Kiosk mit nach Hause. Beispielsweise waren sich neulich die beteiligten Diskustanten uneins darüber, ob das Sein im Ist begründet oder ob das nur eine semantische Verschiebung sei. Da wir am Küchentisch die Frage auch nicht erschöpfend ausdiskutieren konnten, beschloss Ernesto, die Fragestellung wieder mit an den Kiosk zu nehmen. Die Frage wurde am Kiosk eher basal behandelt anhand von Flachmännern und Dosenbier. Das theoretische Sein, also der Flachmann, ist dem praktischen Ist, also dem Dosenbier, dann doch hochprozentiger, also übergeordnet. Was man dann mit dieser Erkenntnis anstellt, ist jedem selbst überlassen. 

Zurück zum Feinripp: Ausgehend von der Erkenntnis, dass Hochprozentiges doch geistreicher sei als Dosenbier, könnte man sich zu der Bemerkung hinreißen lassen, dass je kleiner die Verpackung desto höher die Umdrehung ODER je feiner die Rippe desto ästhetischer der Leib des Trägers ist. Dosenbier wäre dann also die häufig unterschätzte Alternative. Dosenbier wird erst in Palettenform so richtig interessant, weil 24 Kumpane mehr bewirken können als ein Einzelner. Das stellt man auch in jeder Art von Mannschaftssportart fest. Teamsport macht ja nicht nur bei Dosenbier mehr Spaß. Eine einzelne Dose bringt ja kurzzeitig Erquickung, eine ganze Palette hingegen wird dann eher zu einer abendfüllenden Veranstaltung. 

Jetzt aber zurück zum Feinripp: Man lässt sich oft genug von dem Erscheinungsbild der Feinripp-Träger täuschen. Aber wie man sieht, lohnt sich ein zweiter Blick oder eine Nachfrage. Die Engländer haben den Spruch geprägt: „Never judge a book by its cover“, und damit haben sie völlig recht! 

Ich aus meiner Warte war überrascht, mit welch tiefschürfenden Themen sich die Umstehenden am Kiosk so beschäftigten. Da kann man mal sehen, dass ein zweiter Blick immer lohnt.