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Herr Müller sieht die Welt

Alltag auf dem Amt

Wider Erwarten ist der Alltag auf dem Amt von Monotonie geprägt. Die Beschwerden einzelner Bürger bilden eher die Ausnahme in unserem Alltag. Nun darf man auch nicht denken, dass wir eine Karnevalshochburg wären, aber ein guter Witz oder eine nett erzählte Zote finden doch dankbare Abnehmer. Man merkt immer dann, ob ein Witz gut angekommen ist, wenn er Tage später in unserer Teeküche noch in Fragmenten oder Rudimenten erzählt wird.

Gelegentlich brachte ich Ernesto wieder mit auf`s Amt. Weiterhin war es mir untersagt, Ernesto regelmäßig mit auf`s Amt mitzubringen, aber gelegentlich war es geduldet. Dies führte dann zu gewohnten Reaktionen. Die Kolleginnen reagierten mit pubertärem Gekreische („Och ist der süüüüüß!“), die Männer reagierten mit dem Aufräumen ihres Schreibtisches. Das Aufräumen der Dreifaltigkeit des Amtes, also Locher, Tacker und Schere war zumeist eine Verlegenheitsgeste, wenn sie nicht wussten, was sie sonst noch tun sollten. Alternative Beschäftigungsmöglichkeiten bestanden ja auf dem Amt zu Hauf, wenn diese auch häufig wegignoriert wurden.

Aber kaum ein Kollege ging noch mit Maßband vor die Tür, besonders in den kalten Wintermonaten nicht. Die Sommermonate schieden dank des Klimawandels jetzt auch zunehmend aus, weil es in ihnen zu heiß war. Herbst und Frühling boten die ideale Temperatur für unsere Arbeit. Und da noch keine Gefahrenzulage in Aussicht stand, mussten wir unsere Arbeit im Außendienst auf diese Monate beschränken.

Der Alltag auf dem Amt war ansonsten bestimmt von Kaffeetrinken und Papierkram. Die Qualität des Kaffees ließ in letzter Zeit zu wünschen übrig. Erst durch die Übernahme des Kaffeekochens durch Frau Müller hatte sie sich spürbar verbessert. Auch der Geruch des verwendeten Reinigungsmittels hatte deutlich zur Auffrischung des Arbeitsklimas beigetragen. Das jetzt verwendete Mittel sorgte durch die Verwendung von einem Hauch von Patchouli für die nötige Frische in den Amtsstuben. Viele Kolleginnen gingen jetzt dazu über, sich die Haare wieder schwarz zu färben, weite wallende Kleidung zu tragen und Gothic-Musik zu hören, so zog doch eine merklich jugendliche Frische in unser Amt ein. Ich fand`s gut, die Kunden leider nur bedingt. Ihre Anträge waren von Konservativismus geprägt, sie konnten mit der neuen jugendlichen Art der Amtsführung nichts anfangen. Schade eigentlich.

Für mich bedeutete die neuerliche Art der Amtsführung einen zweiten Frühling und plötzlich sah ich auch Frau Müller mit ganz anderen Augen.

Herr Müller sieht die Welt

Überraschungseier

Ernesto kannte ja die Geburt nur als Eibewohner. Lebend auf die Welt kommen war nicht seins. Das war ja eher bei uns Säugetieren der Fall. Deswegen fühlte sich Ernesto beim Essen jedes Überraschungseis stets an seine Kindheit erinnert. Das geht wohl auch jedem Menschen so, aber im Falle von Ernesto war das noch tiefschürfender. Ernestos Kindheit war von langen Reisen und großer Einsamkeit geprägt, bevor wir uns trafen. Der lange Weg von Südamerika nach Europa schien manchmal noch in seiner geistigen Verwirrtheit durchzubrechen. Seine Ankunft in Europa war eher unfreiwillig, weil das Schiff, auf das er von einer Brücke gefallen war im Hafen von Puerto Rico, nunmal bis Kiel fuhr. Da irrte er dann noch einige Tage durch die Straßen Kiels, bevor ich ihn fand. Meine Befürchtung, dass Ü-Eier ihn aufgrund von Heimweh in schlechte Stimmung versetzten, war allerdings unbegründet. Ernesto fühlte sich in meiner Gegenwart sehr wohl und war schon sehr zu Hause in unserer Wohnung, wie er mir mehrfach versicherte.

Der Inhalt der Ü-Eier musste für Ernesto passend sein. Dinge zum Zusammenbauen waren nicht so seins, fertige Figuren waren dagegen gern genommen. Von den Happy Hippos bis zu den Schlümpfen fand sich schon alles in Ernestos Setzkasten. Die Anschaffung des Setzkastens war wohl die beste Idee von mir seit Jahren, weil alle Kleinigkeiten dort von Ernesto deponiert werden konnten. Mehrfach musste der erste Setzkasten von mir erweitert werden, sodass inzwischen eine ganze Wand voll war mit Setzkästen.

Auch unser letzter Ausflug ans Meer sorgte wieder für reichlich Setzkastenfüllung: Von kleinen Muscheln über unbewohnte Schneckenhäuser bis zu hübschen Steinchen wurde alles in seinem Setzkasten untergebracht. Als er dann anfing, in seinen Setzkasten verschiedene Formen von Sand zu stellen, hatte ich für ihn die Idee, diesen in kleinen Fläschchen zu sammeln. Insbesondere mit anderen Fundstücken vom Strand machten sich diese kleinen Fläschchen sehr gut zur Deko des Zimmers. Auch Treibholz und Reste von Fischernetzen waren als Deko für Ernestos Zimmer ideal. Beinahe hatte man das Gefühl, man befände sich an Bord eines Schiffes auf großer Fahrt oder an einem Strand. Die von Ernesto aufgestellten Liegestühle und der Strandkorb unterstrichen das von Ernesto angestrebte Flair.

Zurück zu den Ü-Eiern: Schildkröten-Eier unterschieden sich vor allem dadurch von Ü-Eiern, dass der Inhalt von der Temperatur des umgebenden Sandes abhängt. Im warmen Sand würden Ü-Eier ja immer schmelzen unabhängig vom Inhalt. Ernesto war mir Inhalt genug.

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Die Waschstraße

Zur Verdeutlichung meiner Stellung im Amt hatte ich mir vor Jahren einen goldfarbenen VW Jetta zugelegt. Alle 3-4 Wochen fuhr ich mit diesem durch die Waschanlage. Aber eigentlich fuhr ich nur in die Waschanlage, weil Ernesto so gerne durch die Waschanlage fuhr. Er liebte es, den Bürsten bei der Arbeit zuzuschauen und er war jedes Mal begeistert, wie toll das Auto hinterher blitzte und blinkte.

Außerdem dachte er dann immer an seine Kumpels: die Wasserschildkröten. Genau wie sie frei und unbeschwert glitten die Bürsten über das Blech, verteilten ihre nasse Pracht. Er fühlte sich den Wasserschildkröten halt einfach sehr nahe, auch wenn die Waschstraße und der Ozean auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben.

Die Nähe von Waschstraßen und dem Leben im Ozean wurde mir aber auf dramatische Art und Weise klar. Und zwar in dem Moment, als ich mitbekam, dass das Wasser aus der Waschanlage wieder gereinigt und aufbereitet wurde. Da wurde mir bewusst, dass die Verantwortung für sauberes Wasser bei uns allen liegt. Wer also Wert auf ein sauberes Auto legt, dem muss auch klar sein, dass sauberes Wasser nicht vom Himmel fällt, sondern man sich nach der Nutzung um die Aufbereitung des Schmutzwassers kümmern muss.

So, moralischer Zeigefinger wieder eingeklappt. Das Leben in der Waschstraße und auf`m Amt hatte durchaus Parallelen. Nur in Waschstraßen wurde man permanent mit Wasser gebürstet, in Ämtern nicht immer. Gebürstet meint in letzterem Fall „einen Anschiss kriegen“. Wie ein trockener Anschiss aussah, merkte ich, als ich einmal zum Amtsleiter zitiert wurde. Ich hatte mich bei der Vermessung eines Grundstücks um mehrere Quadratmeter vertan. Aber die ganze Sache war dann relativ schnell geklärt. Wir konnten wieder jeder seiner Wege ziehen.

Mir wurde durch die Waschstraße wenigstens klar, wie die Bewohner des Festlandes mit den Ressourcen von Wasser umgehen und dass der Umgang mit Wasser Auswirkungen auf das Leben im Meer hat. Die Abhängigkeit braucht kein Mensch und die Bewohner der Meere schon gar nicht. Leider muss man einsehen, dass die Abhängigkeit im Kreislauf der Natur begründet ist, ein Zahnrad greift in das andere

Wer hätte gedacht, dass einen Waschstraßen zu solch tiefgründigen Gedanken hinreißen.

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Tütensuppen

Entgegen aller Empfehlungen ging Ernesto dazu über, Tütensuppen mit Zutaten aufzupimpen. Eine schnöde Buchstabensuppe wurde so um die fehlenden Buchstaben ergänzt. Er benutzte die aufgepimpten Tütensuppen dazu, sein Vokabular zu vergrößern, die einfache Tütensuppe wurde so zum Lexikon der Eloquenz. Also wurde jetzt jede Buchstaben-Tütensuppe eingehend untersucht und auf fehlende Buchstaben hin ergänzt. Das setzte natürlich voraus, dass wir über ein reichhaltiges Angebot von Buchstabennudeln verfügten. Also mussten wir erstmal Buchstabennudeln kaufen, um ein Grundstock an Buchstaben zu haben. Genauso mussten wir uns einen Fundus an Suppengrün und sonstigen Zutaten zulegen, um die Tütensuppe aufpimpen zu können. Die Folge davon war, dass kein Kreuzworträtsel mehr vor ihm sicher war.

Ein Mittagessen mit Ernesto und Tütensuppe war für mich eher unspannend, weil Ernesto jetzt dabei Kreuzworträtsel lösen musste. Von mir darauf hingewiesen war dem ganzen spätestens dann ein Ende gesetzt, als sich Ernesto bei mir über die zu kalte Suppe beschweren wollte. Ich konnte aber nichts dafür, dass Ernesto über die Lösung der Kreuzworträtsel das Essen der warmen Suppe vergaß. Andererseits freute es mich, dass Ernesto sich seiner Aufgabe so gewissenhaft zuwandte.

Nur als er Ravioli aus der Dose aufpimpen wollte, intervenierte ich dann doch. Ich fragte ihn nach dem Sinn und Zweck von Ravioli und überhaupt Tütensuppen. Sinn und Zweck von ihnen war doch, eine kleine, schnelle Mahlzeit anzubieten. Durch das Verlängern der Dosen- und Tüten-Mahlzeiten von Ernesto wurden diese jedoch zu Abend füllenden Veranstaltungen. Der eigentliche Sinn und Zweck dieser Dosen und Tüten war jedoch damit nicht mehr gegeben. Diese Zeitersparnis beim Essen ist wohl eher ungesund. Wenn man also schon selber kocht, kann man auch gleich alles richtig kochen. Fastfood machte für uns eigentlich nur noch unterwegs Sinn. Gleiches gilt für Tütensuppen und Dosen.

Ernesto war ja von seinem Naturell der Vertreter von SLOW, von daher machte Fastfood für ihn wenig Sinn. Slowfood als Ausdruck von bewusstem Essen war genau Ernestos Überzeugung, es konnte ihm gar nicht SLOW genug sein. SLOW als Geisteshaltung sollten wir gerade in hektischen Zeiten wie diesen vielleicht wieder mehr beachten.

Als Konsequenz verzichteten wir fortan auf Tütensuppen, die Kreuzworträtsel aber blieben uns.

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Fußball

Es war einer der belanglosen Montagnachmittage. Ernesto galoppierte unvermittelt los, kam vor unserer weißen Raufasertapete im Flur zum Stehen. Schlagartig drehte er sich zu mir um und sagte, er wolle jetzt Fußballfan werden, um wieder Farbe in sein Leben zu bringen. Die Farbe des Clubs sei ihm relativ egal, nur wie eine Biene Maja oder grün wie ein Frosch wollte er nicht aussehen und auch der Club eines großen Würstchenproduzenten aus dem Süden Deutschlands sollte es nicht sein. Da es sonst im Norden nicht viel Erstklassiges gab, blieb für ihn nur ein Verein: der FC St. Pauli.

Ernesto machte sich zunächst im Internet über den Verein und seine Fans schlau. Meine Meinung: Die Zeiten, in denen der Torwart aus der damals besetzten Hafenstraße mit dem Fahrrad zum Training und zu Spielen angeradelt kam, sind wohl endgültig vorbei. Wenn man sich den Fanshop des FC St. Pauli auf der Reeperbahn anguckt, muss man wohl sagen, die Revolution hat ihre Kinder gefressen. Vom einstigen Revoluzzer-Image des Vereins ist nicht mehr so viel geblieben, aber immer noch besser als der HSV. Trotzdem wollen die Fans des FC St. Pauli mit ihrer Unterstützung eine gewisse Geisteshaltung zeigen. Zu Zeiten eines Kevin Keegan war der HSV mal cool, aber inzwischen ist er in der Zweitklassigkeit angekommen und macht keinerlei Anstalten, den Arsch hoch zu kriegen. Das angepasste Image des HSV geht vielen über. Mal gucken, wie es in ein paar Jahren aussieht.

Dass Kiel erstklassig wurde, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar, außerdem war Ernesto St. Pauli sowieso eher zugeneigt. Ernesto war überzeugt von der Piratenflagge des FC St. Pauli und alsbald lief er mit dieser und einem Kopftuch durch die Straßen von Kiel, wenn St. Pauli spielte. Ernestos Leidenschaft für den Fußball war sicher auch in der Wahl des Vereins begründet. Fan sein und Geradlinigkeit sind nicht immer ein Paar Schuhe. Auch hier gilt: Der Spaß steht im Vordergrund. Das Braun von St. Pauli war sicherlich kein Farbtupfer, aber ein Statement (jetzt bitte nicht falsch verstehen!). Aber es zeigt sich, dass die Liebe zu einem Verein über die Farbe des Vereins hinausgeht. Manchmal bedarf es eben eines spielerischen Umgangs mit der Materie.

Fußball ist und sollte immer nur zum Spaß betrieben werden. Genau so sollten es auch Fans und Management sehen und nicht die Verbissenheit und das Geldverdienen vor den Spaß stellen.

Herr Müller sieht die Welt

Vogelfutter 

Das Vogelhäuschen auf unserem Balkon wurde von mir in den Wintermonaten regelmäßig mit Vogelfutter versorgt. Ernesto fungierte hier als Vorkoster für die Vögel, sprich er probierte das Vogelfutter bevor es von mir in das Vogelhäuschen gefüllt wurde. Relativ schnell fand Ernesto allerdings Gefallen am Vogelfutter, sodass ich dafür sorgen musste, dass auch noch was für die Vögel übrig blieb. Er sagte, dass ihm das Vogelfutter ungeahnte Kräfte verleihe. 

Sein großes Vorbild war Superman, weil der immer ein schickes Leibchen trug. Außerdem war Ernesto extrem neidisch auf den tollen Umhang, der nach Ernestos Meinung Schildkröten sowieso viel besser stand als Menschen. Befeuert von den Abenteuern des Superman unternahm Ernesto so manchen Rundflug durch das nächtliche Kiel. Wann immer er eine Ungerechtigkeit sah oder meinte zu erahnen, senkte er seinen Flug und wurde aktiver Teil der Situation. So klärte er beispielsweise einen Streit am Kiosk, wobei ihm zu Hilfe kam, dass das sowieso seine Kumpel vom Kiez waren. Da er die Streithähne kannte und um ihr Anliegen wusste, war die Situation schnell und friedlich geklärt. 

Ein anderes Mal wurde ein vermeintlich harmloser Streit um einen Parkplatz zu einer handfesten Auseinandersetzung. Die beiden beteiligten Frauen reagierten jedoch sehr überrascht auf Ernestos Erscheinen. Völlig verdattert und erstaunt ergriffen die beiden die Flucht. Warum war Ernesto nicht ganz klar, aber so war wieder Ruhe im Kiez dank Ernestos Anwesenheit. 

Weil Ernestos Flug vom Umhang behindert wurde, suchte er händeringend nach Alternativen. Er überlegte, ob er sich wie die Guardian Angels in New York City für die Umstehenden erkennbar zeigen sollte. Seine Überlegung wurde dann aber dahingehend über den Haufen geworfen, dass er von einer Person um Hilfe gebeten wurde, die mit dem Kraftfahrzeug liegen geblieben war. Um das Fahrzeug wieder flott zu machen, rief Ernesto die gelben Engel. Die Ähnlichkeit von den Guardian Angels mit dem ADAC ist in ihrer Zielsetzung zwar vergleichbar, aber dennoch grundverschieden. Das martialische Äußere der Guardian Angels ist mit dem ADAC mit nichts zu vergleichen. Die Warnwesten des ADACs passten Ernesto aber besser als die Baseball-Jacken der Guardian Angels. Eine Mitgliedschaft im ADAC missfiel ihm jedoch völlig. Da war ihm der freiheitliche Gedanke der Guardian Angels schon näher. 

Man darf also die Wirkung von Vogelfutter nie unterschätzen und gelbe Westen muss man mögen. 

Herr Müller sieht die Welt

Sandkasten 

An sonnigen Tagen war es Ernestos größtes Vergnügen, sich im Sandkasten zu verlustieren. Der Sandkasten befand sich auf dem nächstgelegenen Spielplatz am Ende unserer Straße. 

Ich saß unter einem Sonnenschirm am Sandkasten auf einem Stuhl und beobachtete das Treiben Ernestos. Relativ schnell war ihm die Benutzung des Sandkastens alleine langweilig. Um selber mitzuspielen, fehlte mir die Fantasie. Andere Mitspieler mussten gefunden werden. Bald waren kleinere Kinder aus der Nachbarschaft vom Spielen mit Ernesto überzeugt und nach einigen wenigen Problemen der Kontaktaufnahme war das Eis gebrochen. Ernestos Kommentare über die geistige Entwicklung der Kinder verstand ja Gott sei Dank außer mir niemand. Die Rückschlüsse, die Ernesto aufgrund des Verhaltens im Sandkasten auf die Kinder zog, waren von mir nicht immer geteilt und waren teilweise ungerecht. Ich ließ mich von Ernestos Frotzeleien nicht beeindrucken und so war sein Spiel mit den Kindern auch für ihn sehr ergiebig. 

Sie bauten eine große Sandburg, die sogar mehrere Tage stehen blieb. Irgendwann reichte das bloße Sandtürmen nicht mehr aus, sondern extravagante Gadgets mussten her. Zum Beispiel wurde auch eine Zugbrücke installiert. Mit dem Einzug der Gadgets waren aber auch immer häufiger Beschädigungen an der Sandburg festzustellen. Die Idee Ernestos, den ganzen Sandkasten kameraüberwachen zu lassen, schien mir dann aber doch zu weitgehend. Also wurde kurzerhand die Wach- und Schließgesellschaft beauftragt, einmal pro Stunde nach dem Sandkasten bzw. nach den darin befindlichen Objekten zu schauen. Kritische Uhrzeiten waren erwartungsgemäß die Nachtstunden am Wochenende. Als sich dann wider Erwarten zwei Betrunkene dazu entschieden, die Sandburg mit Bierdosen zu verzieren, sagte Ernesto zu meiner Überraschung, dass die beiden Jungs ungefährlich für die Sandburg seien, da er sie vom Kiosk kenne. Die Bierdosen konnten als Zinnen in der Sandburg gute Dienste tun. 

Ernestos Abenteuer auf dem Spielplatz gingen auch noch über den Sandkasten hinaus. Die Kinder nahmen ihn mit zu einer Rutschpartie und schaukelten mit ihm bis er um Gnade flehte. Da war ihm das Rutschen dann doch lieber. So eine Rutschpartie war zwar von manchen Omas gern vermieden, aber Ernesto liebte die unkoordinierten Beinahe-Stürze in den Sandkasten. 

So ein Sandkasten bietet nicht nur den Ernestos unserer Welt viel Platz zum Spielen und Erleben. 

Herr Müller sieht die Welt

Gelbe Seiten 

Vor einigen Jahren erfolgte eine Umstellung, die fast keiner bemerkte: Die Gelben Seiten gab es jetzt nicht mehr analog, sondern nur noch digital. Als Zeichen des Neubeginns kam damals zu Beginn jeden Jahres ein aktuelles Exemplar in alle Haushalte dieser Republik. 

Ernesto nutzte dieses, um mit Fachleuten Fachgespräche zu führen. So rief er zum Beispiel Sanitärbetriebe an, als er ein Problem mit dem Abfluss hatte. Der Abfluss in unserer Küche war verstopft und er fragte die Sanitärbetriebe, wie man den Knick unterhalb der Spüle wieder frei bekommen könnte. Vielfach war dazu aber Spezialwerkzeug erforderlich, was Ernesto nicht hatte. Die Sanitätsbetriebe reagierten zwar freundlich, aber drängten dann auf einen Besichtigungstermin. Das wollte Ernesto natürlich partout vermeiden. 

Als nächstes rief er bei einem bunten Potpourri von Bestattungsunternehmen an und wollte sich beraten lassen, ob eine Einäscherung oder eine Bestattung im Sarg vorgenommen werden solle und welche die günstigere für ihn sei. Über die Frage nach der günstigeren Bestattungsform rümpften die angerufenen Unternehmen die Nase und als sie dann noch mitbekamen, dass es sich bei dem Anrufer um eine Schildkröte handelte, brachen sie das Gespräch sofort ab. 

Anschließend rief er das ortsansässige Entsorgungsunternehmen an und befragte diese zur Müllentsorgung. Seine Beschwerde über die unregelmäßige Leerung des Altpapiers konnte er auf diese Weise mit anbringen. Seinen Vortrag zum Thema fachgerechte Mülltrennung wollte komischerweise dort keiner hören. 

Sein Gespräch mit Autohändlern über die Vorteile von E-Mobilität entwickelte sich beinahe zum handfesten Streit. Nur ein von mir angebotener Kaffee verhinderte schlimmeres. Die Mobilitätsfrage konnte mit einem Kaffee in der Hand zwar nicht geklärt werden, aber zumindest beruhigten sich die Gemüter, auch wenn abschließend kein Ergebnis vorlag. 

Die Befragung des Blumenhändlers stellte Ernesto vor die Aufgabe, dass er sich wohl eigene Gedanken machen müsste, welche Art von Blumen er schöner fand: echte Blumen oder Kunstblumen. Es lag also an ihm, dessen musste er sich gewahr werden. 

Es bleibt als Fazit, dass die Gelben Seiten in analoger Form für Ernesto lustiger waren als digital und er überlegte, einen aktuellen Potpourri der Warteschleifen-Musiken zu machen. Was man daraus für eigene Schlüsse ableitet, sei jedem selbst überlassen. 

Kowalski lebt

Rollbrett für Waltraut 

Um mit Waltraut längere Spaziergänge unternehmen zu können, hatten wir jetzt die Idee, ein Rollbrett unter ihren Bauch zu schieben, weil dieser in letzter Zeit doch stark durchhing und auf dem Boden schliff. Völlig überraschend ging Waltraut aber dazu über, sich auf das Rollbrett zu stellen und sich von mir ziehen zu lassen. Das war natürlich nicht im Sinne des Erfinders. Es bedurfte einige Erklärung, damit Waltraut das Rollbrett als das annahm, was es sein sollte: nämlich als kleine Unterstützung bzw. Hilfe, denn nicht zuletzt sollte damit ihre Fitness und Selbstständigkeit gefördert werden. 

Relativ schnell merkten wir jedoch, dass Bordsteine und Treppen ein schier unüberwindbares Hindernis für uns waren. Auch die Art des Fußweges konnte von Waltraut beurteilt werden. Kopfsteinpflaster, so merkte sie, war einfach nur die Hölle: zwar optisch schön, jedoch völlig unpraktisch. Nur Fußgänger wussten nicht um die Tücken von Kopfsteinpflaster. Erst mit der Erfahrung als Rollbrettfahrer konnte Waltraut die Wertigkeit von Pflasterungen beurteilen. Zur Bewältigung so mancher Pflasterung sind lange Beine von Vorteil, die sie aufgrund ihrer Rasse nicht hatte. Kurze Beine und Kopfsteinpflaster schließen sich gegenseitig aus. Am liebsten waren ihr glatte Betonböden oder asphaltierte Straßen, da konnte sie völlig entspannt ihre Fitness trainieren, ohne ständig von dem Rollbrett in den Bauch gebufft zu werden. 

Blieb noch das Problem der nicht vorhandenen Bremsen. Abhänge konnten so zu Schluchten der Todesgefahr werden. Ihr Turnschuhe anzuziehen, damit sie bremsen konnte, war auch keine Option. Also musste das Rollbrett von mir mit einer zusätzlichen Leine gehalten werden. Waltrauts Unabhängigkeit war so natürlich nicht gesteigert, erst mit dem Einbau einer Bremse, die sie selbstständig betätigen konnte durch Kopfnicken, konnte das Problem gelöst werden. Das sah zwar etwas dämlich aus, weil sie so dem Wackeldackel relativ ähnlich war, aber egal: Wer heilt, hat Recht. 

Natürlich kamen doofe Kommentare von Menschen. Die Krönung war dann ein dicker Mann, der sich über Waltrauts Rollbrett lustig machte. Da war der Bock fett. Die Vorstellung des dicken Mannes auf einem Rollbrett tröstete mich. Mein Kommentar über Glashäuser (wer im Glashaus sitzt, sollte keine Steine schmeißen) hat er nicht verstanden. 

Ach wären doch alle Menschen wie Waltraut! 

Herr Müller sieht die Welt

Hustensaft 

Halsweh ist ja immer doof. Manchmal ließ ich mir dann einen Hustensaft schmecken in der Hoffnung, dass es davon besser wurde. Aber das ging nur bedingt. Meistens half am besten ein dicker Schal und warmer Tee. Den warmen Tee machte ich mir und Ernesto nur dann, wenn die Erkältung wirklich ätzend wurde, weil ich mich immer an den heißen Teetassen verbrühte. Und es sieht ja schon ein bisschen doof aus, mit Handschuhen in der Küche zu stehen. 

Mit Handschuhen und Schal fühlte ich mich wie ein Alpinist, es fehlte nur noch die Lawinenwarnung, aber diese war ja in meiner Küche nicht zu erwarten. Auch andere Skifahrer waren eher selten gesichtet. Häufiger traf man dagegen Silberfische. Diese fanden das Klima in der Küche sehr angenehm. So kamen also zu Ernesto ab und zu Silberfische als Mitbewohner dazu. Diese waren relativ genügsam, hingestelltes Futter verschmähten sie oft. Hustensaft war ihre Sache auch nicht, ich hab`s probiert. Also richtete sich mein Augenmerk jetzt eher auf die Vertreibung aus der Küche. Diese Gäste wollte ja keiner so gerne haben. 

Bei unserer letzten Erkältung probierten wir zum ersten Mal Wick MediNait als allgemeine Waffe gegen grippale Infekte. Das sorgte aber dafür, dass wir glaubten, wir hätten nächtlichen Besuch in unserer Wohnung. Erst als wir diesem ein Getränk anboten und keinerlei Reaktion kam, merkten wir, dass wir einer Halluzination aufgesessen waren. Ein Blick in die Nebenwirkungen des Medikaments ließ uns schnell zu alten Hausmittelchen zurückkehren, diese standen zumindest nicht unter dem Verdacht, halluzinierend zu wirken. Der Ingwertee mit Honig für Ernesto und mich tat dann Wirkung und bald waren Ernesto und ich von Husten befreit. 

Generell ist ja die Stärkung der Immunabwehr bei Menschen und Schildkröten ein wichtiger Faktor. Man sollte denken, Schildkröten hätten eine gute Abwehr aufgrund ihres Panzers, aber da darf man sich nicht täuschen lassen. Gegen Viren und Bakterien sind sie relativ schutzlos. Da hilft nur das Hochheizen der Wohnung und ein warmes Fußbad. Nun gestaltete es sich relativ schwer, die ganze Wohnung mit einem warmen Fußbad zu versehen. Deswegen beschränkten wir uns darauf, gelegentliche heiße Wannenbäder zu veranstalten. Hinterher konnten wir uns dann in ein dickes Frotteetuch einwickeln und uns in eine Decke gehüllt auf`s Sofa legen. Unser Ingwertee mit Honig war ein idealer Schlafbeschleuniger und so schliefen wir uns gesund. 

Wir haben gelernt: Moderne Erkältungsmittel sind mit Vorsicht zu genießen.