
Stationen meines Lebens
Ich war 13. Mama und Papa waren bei der Arbeit. Irgendwie war es ein komischer Tag. Schule war langweilig wie immer. Irgendwie wollte ich was machen mit Menschen, glaube ich. Aber was? Ich war verworren. Also ging ich erstmal zur Stange, aber da war keiner. Und nun? Bleibt mir wohl nichts anderes übrig als mir was Eigenes zu überlegen. Aber was? So ging das noch einige Zeit. Also ging ich weiter zur Schule.
Große Parallele: ich bin an MS erkrankt, aber darum sollte es eigentlich gar nicht gehen. Ich glaube, meine Erkrankung ist ein bisschen wie mein Leben. Eigentlich dachte ich, mein Leben hört auf mit der Diagnose, aber nö, es ging weiter. Letztlich kann man alles zusammenfassen unter dem Motto: Ihr könnt mich alle mal! Dann muss ich eben mein Leben nach anderen Vorstellungen leben, aber das Dumme dabei ist, dass man oft von Ängsten geplagt wird und somit die schönen Dinge, die man hat, nicht immer als solche erkennt oder Angst hat, sie zu verlieren.
Apropos verlieren: Meine Frau verliert auch gern Dinge, aber darum sollte es hier nicht gehen, bin ja nicht Mario Barth .
Wie gesagt, ich war 13 Jahre alt. Sport fand ich cool, vor allem Tischtennis, Basketball und Badminton. Nicht zu vergessen die endlosen und unvergessenen Radtouren mit Janosch! Ich ging also weiter zur Schule mit dem Ziel des Abis. Kurz bevor ich das Abi machte, entdeckte ich die Musik für mich und wurde Schlagzeuger in unserer ersten Band. Wir nannten uns „Dagegen“, weil wir den Namen passend fanden. Unsere damaligen Helden Feldbock und Zabel von der Band Kinski fanden uns gut und versprachen uns, dass wir bei ihrem nächsten Konzert als Vorgruppe auftreten können. Das war für uns natürlich der Ritterschlag schlechthin.
Nach einem kurzen Intermezzo als Kulturpädagoge brach ich mein Studium ab, um in Braunschweig Lehrer für die Hauptschule zu werden. Das erwies sich als Glücksgriff, weil ich sehr gerne Lehrer war (Gruß an meine Klasse von der IGS Peine – ihr seid mir unvergesslich geblieben!). Unsere coolste Aktion war – fand ich – neben dem Brief an den Passauer Polizeipräsidenten, der von Neonazis überfallen wurde und von dem wir tatsächlich eine Antwort erhielten, die wir dann im Klassenrat verlasen, die Klassenfahrt in der 8. Klasse. Wir sind von Dresden über Berlin nach Hamburg gefahren. In Dresden schauten wir uns die wiederaufgebaute Frauenkirche
an, in Berlin besuchten wir die Kuppel des Bundestages (Gruß an Hubertus Heil, der uns damals als Landkreisabgeordneter Peines den Zugang ermöglicht hat). In Hamburg beschlossen wir unser Projekt „Süchte, Sehnsüchte“ und tauschten uns über die gravierenden Folgen des Drogenmissbrauches mit ehemaligen Drogenabhängigen auf dem Weg ins Erwachsenwerden aus in einer Betreuungsstation für ehemalige Drogenabhängige. Zuvor unternahmen wir einen Stadtrundgang von Hinz und Kunzt, bei dem wir in beeindruckender Weise das Leben von Hamburger Obdachlosen kennen lernten. Für mich eine unvergessliche Klassenfahrt!
Was das Leben noch für mich bereit hielt, konnte ich zu dem Zeitpunkt ja nicht ahnen. Ich wurde nämlich Papa – das werden bestimmt alle Eltern über ihre Kinder sagen – von dem coolsten und tollsten Kind der Welt! Zunächst wusste ich überhaupt nicht, wie ich diese Rolle füllen kann und soll. Ich hatte keine Vorstellung, was dann passiert. Mein Sohn war da und Mama und Papa waren da. Als du größer wurdest, unternahmen wir einige Ausflüge. Natürlich mit dem Zug, denn Autofahren war ja nicht so toll beim Fortschreiten meiner Krankheit. Zum Beispiel nach Berlin, wo du (ca. 3 Jahre alt) die coolste Frage an einen Berliner Punker stelltest. Du wackeltest nach meinem Anraten hin selbst zum Punk und fragtest ihn, warum er grüne Haare habe. Stolz wie Bolle kamst du zu mir zurück und berichtetest, dass der Punk antwortete, weil er Bock dazu habe . Deine Entwicklung ging den Umständen entsprechend normal weiter. Du besuchst zum jetzigen Zeitpunkt die 8. Klasse eines Gymnasiums. Die Tatsache, dass ich im Rolli sitze, kannst du wohl besser akzeptieren als ich, vielleicht weil wir immer bemüht sind, dir den Umgang damit leicht zu machen. Ich bin so unendlich stolz auf dich!
Als Erkrankter sich nicht zu verstecken und so normal wie möglich weiter zu machen, ist nicht so einfach, aber genau das versuchen wir. Nicht immer stoßen wir dabei auf Verständnis bei unserer Umwelt. Aber aufgeben ist keine Option! Auch wenn es manchmal schwerfällt, lebe ich getreu dem Motto: Wenn der Wahnsinn dich anlacht, lach zurück!