Herr Müller sieht die Welt

Busticket 

Naja, nun gut, der beste Witze-Erzähler war ich ja nicht. Trotzdem ließ ich es mir nicht nehmen, Ernesto den blöden Witz aus meiner Kindheit zu erzählen von dem Menschen, der eigentlich, immer wenn er Bus fuhr, ein Einzelticket hätte lösen müssen, aber nie eins löste und dennoch öfter Bus fuhr. Als er gefragt wurde, warum er kein Einzelticket löste, antwortete er: „Django (also er selbst) hat `ne Monatskarte“. Ernestos Reaktion war verhalten, ich fand es irre lustig. 

Unabhängig von meinem Witz fuhr Ernesto jetzt öfter mit dem Bus. Er fand das besonders cool, obwohl er zu Herrn Yilmaz nur 2 Stationen fahren musste, hätte also auch genauso gut zu Fuß gehen können. Er nutzte aber die Möglichkeit, um mit dem Bus durch die ganze Stadt zu fahren und erst auf dem Rückweg bei Herrn Yilmaz auszusteigen. Ernesto legte großen Wert auf eine angemessene Begrüßung. Wie ein Weltreisender stieg er aus dem Bus und erwartete ein großes Empfangskomitee. Da dies zumeist ausblieb, begnügte er sich mit einem einfachen „Hallo“ von Herrn Yilmaz. 

Der Busfahrer wunderte sich über Ernestos Touren im Bus gar nicht mehr, weil er sich daran gewöhnt hatte, dass Ernesto – besonders bei schönem Wetter – bei ihm mitfuhr. Die Bedeutung der Öffis für Ernesto war weitreichend, ermöglichte sie ihm doch die selbstständige Erkundung der ganzen Stadt. 

Ernesto lernte das Angebot der Öffis so zu schätzen, auch wenn bei hohen Temperaturen und vielen Mitfahrern ein unangenehmer Schweißgeruch mitfuhr. Aber den lernte Ernesto gegebenenfalls zu ignorieren. Er ließ sich sogar zu der Aussage hinreißen: „Öffis fahren ist wie wenn `ste fliegst“. Was er damit meinte, ist mir nach wie vor unklar. Ich glaube, er war einfach begeistert davon Bus zu fahren. Ein so großes Auto hatten ja nun die wenigsten und auch wenn es nicht sein eigenes war, so war doch der Auftritt mit so einem Riesengefährt jedes Mal ein imposanter. Hinzu kam noch, dass Ernesto jedes Mal, wenn er Bus fuhr, hinter der Windschutzscheibe beim Busfahrer mitfahren durfte. Dort wartete ein Kissen extra für ihn. So verbanden sich großartiger Komfort mit einer herrlichen Rundum-Sicht. 

Nachdem ich mit meinem blöden Witz bei Ernesto nicht landen konnte, fand er zumindest die Idee mit der Monatskarte gut. Ernesto konnte jetzt also voller Stolz auch sagen: „Ernesto hat `ne Monatskarte!“. 

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Zollstock 

So ein Zollstock ist ja eigentlich denkbar ungünstig für eine Schildkröte, war er doch viel zu unhandlich. Ernesto hatte nun die Idee, die Vernietungen der einzelnen Glieder des Zollstockes zu entfernen und mit den einzelnen Teilstücken des Zollstockes Dinge auszumessen. Das sah komisch aus, so eine Schildkröte mit den Einzelteilen des Zollstockes auf dem Rücken, aber egal. Zur Vermessung von Dingen legte Ernesto die Einzelteile des Zollstockes hintereinander und erhielt so das Maß der Dinge. Bei Sturm oder Erdbeben konnte das natürlich nicht stattfinden, weil dann die Teilstücke ungenau messen würden. Da aber Erdbeben in unseren Breiten relativ selten waren und Stürme nicht so stark ausfielen, dass sie Messarbeiten gefährden konnten, konnte das erwünschte Ziel von ihm erreicht werden. 

Dass er mit den Teilstücken des Zollstockes auf dem Panzer geschnallt aussah wie ein Leiterwagen der Feuerwehr um die Jahrhundertwende, wusste er nicht. 

Bald stellte Ernesto fest, dass es doch eine einfachere und praktikablere Lösung zur Vermessung geben müsse. Er wähnte sich schon einer neuen Erfindung gegenüber und war dann relativ frustriert, als ich ihm leider sagen musste, dass Maßbänder zur Längenbestimmung schon erfunden waren. Trotzdem war das Bild von Ernesto mit Teilstücken des Zollstockes auf seinem Panzer ein unvergessliches. 

Der Einfachheit halber und weil es auch einfacher für Schildkröten zu bedienen und zu tragen war, ging Ernesto so zum Maßband über. Die Flexibilität von Maßbändern ist für Schildkröten schwer nachvollziehbar, zumal Flexibilität nicht zu ihren Grundstärken gehört. Flexibilität gehört ja nicht nur bei Schildkröten nicht zu den Grundstärken, sondern auch viele Menschen könnten von ihr eine Schippe mehr vertragen, aber das nur nebenbei. 

Woher Ernestos Drang zur Vermessung seiner Umwelt kam, konnte ich nur erahnen. Vielleicht hatte es mit seiner Herkunft zu tun, die ja in Südamerika lag und daher weit von Kiel entfernt war. Die Distanz zwischen Südamerika und Kiel war doch beträchtlich. Aber wie gesagt, das war nur meine Vermutung. 

So wurden von Ernesto alle Gegenstände in unserer Wohnung und die Wohnung selbst ausgemessen und die Maße genaustens notiert. 

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Wasserwaage 

Ohne Vorwarnung sah Ernesto mich vorgestern an und sagte, er wolle unser Leben jetzt mal ins Lot bringen. Das könne ja schließlich nicht so weitergehen. Was er genau damit meinte, ist mir nach wie vor ein Rätsel, aber auf jeden Fall hatten Libellen es ihm jetzt angetan. Was genau Libellen sind und damit zu tun hätten, erklärte er mir im Anschluss. Libellen, so sagte er mir, seien die Dinger, mit deren Hilfe Wasserwaagen ins Lot gebracht werden, also das Luftbläschen, das zwischen den Strichen sein muss und somit anzeigt, ob die Wasserwaage genau waagerecht ausgerichtet ist. 

Sämtliche Türstürze und Regale wurden daraufhin von ihm auf ihr „in-Waage-sein“ überprüft. Aber wenn dem nicht der Fall war, blieb ihm auch nicht viel anderes übrig, als dies auf einem Zettel zu notieren und mich darüber in Kenntnis zu setzen. Selber Hand anlegen, um es auszurichten, war nicht so sehr seins. 

Apropos „nicht in Waage sein“ und „nichts dagegen ausrichten können“: Ernesto liebte Cowboy- und Indianer-Filme, aber er fand, dass das Verhältnis der Bewaffnung von Cowboys und Indianern völlig im Ungleichgewicht sei. Verfügten doch die Cowboys meist über Colts und Gewehre, die Indianer aber nur über Pfeil und Bogen. Dies sei eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, so fand er. 

Bei unseren Cowboy- und Indianer-Spielen in der Wohnung musste das unbedingt Berücksichtigung finden. Neben den Türen, die durch Decken ersetzt wurden, um der ganzen Wohnung ein Tippi-Flair zu geben, konnte ich ihn gerade noch davon abbringen, ein offenes Feuer in unserer Wohnung zu entzünden. Mahlzeiten konnten nur auf dem Herd erwärmt werden. Die ungleiche Gewichtung von Indianern und Cowboys sollte dadurch ausgeglichen werden, dass mal Ernesto und mal ich Indianer waren. In der Rückschau betrachtet hat sich das Ungleichgewicht der Bewaffnung zu Gunsten der Cowboys ausgewirkt. Ob das ein Vorteil für Amerika war, sei mal dahingestellt. 

Einige Ungleichgewichte, so lernten Ernesto und ich, muss man wohl einfach hinnehmen. Gegen sie anzukämpfen, frustriert relativ schnell. Dennoch lohnt ein stetes Abwägen der Situation, um Ungleichgewichte zu erkennen und gegebenenfalls zu beheben, sofern man dazu die Möglichkeit hat. 

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Hakle feucht 

An einem dieser überhitzten Sommertage, die uns in letzter Zeit häufiger begegnen, hatte Ernesto die Idee, sich mit einem Hakle feucht um den Kopf gewickelt Abkühlung zu verschaffen. Dabei stellte er aber schnell fest, dass diese sehr unangenehm nach Seife rochen. 

Seine Idee war deshalb, dass sie nach Moschus riechen müssten, um die Kundschaft solcher Tücher auf den männlichen Teil der Bevölkerung auszuweiten. Ich schlug ihm also vor, dieses bei der Firma von Hakle feucht als Geruchsvorschlag einzureichen. Mehr als nein sagen konnten sie ja schließlich nicht. Dass der Vorschlag von einer Schildkröte kam, konnten sie ja nicht ahnen. 

Natürlich war die Antwort der Firma „Nein“ und Ernesto war zunächst frustriert über das Ergebnis, dabei fand er seine Idee doch so gut. Hakle feucht-Tücher um den Kopf gewickelt sind zwar jedermanns Sache nicht, aber in der größten Not, also bei großer Hitze, eine angenehme Abkühlung. 

Die Idee, Feuchttücher um sämtliche Extremitäten zu wickeln, überdachte Ernesto bald, weil er bei unserem letzten Ausflug in den Garten diesen zur Hälfte mit in unsere Wohnung brachte. Sämtlicher Sand und Erdboden fand sich in den Tüchern und wurde dann bei uns oben in der Wohnung verteilt. 

Zur Vermeidung von unerwünschten Mitbringseln achtete Ernesto jetzt darauf, die Tücher vor Verlassen des Gartens abzulegen, zumal ich ihm beim Betreten der Wohnung stets an die Sauberkeit seiner Schuhe und Kleidungsstücke erinnerte. Deshalb ging Ernesto dazu über, sich in der Wohnung Abkühlung mit Hilfe einer Sprühflasche zu verschaffen, mit deren Hilfe er Wasser auf seinen Kopf und seine Extremitäten außerhalb des Panzers sprühte. Überhaupt war die Abkühlung mit der Sprühflasche praktikabler, zumal dies auch nicht so aufdringlich roch. Der einzige Nachteil war, dass die Sprühflasche nicht von ihm getragen werden konnte. Aber auch ich kam mir dann umso cooler vor mit an der Hosentasche eingehängter Sprühflasche, die bei Ausflügen von nun an gerade im Sommer immer dabei sein musste. Außerdem konnte ich so im Vorbeigehen Blumen mit Wasser benetzen bei größter Hitze. 

Abkühlungen können also auch ganz geruchsarm sein und trotzdem ihre Wirkung haben. Wie bei allem gilt: gewusst wie. 

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Handmade 

Nachdem Ernesto mal wieder nächtelang vor unserem Kabelfernsehen verbracht hatte und auf einen dieser Verkaufssender in unserem über 100 Kabelprogrammen hängen blieb, sagte er mir zu meiner Überraschung: Sie hätten von „handmade“-Produkten geredet und er konnte sich überhaupt keinen Reim darauf machen, was das bedeute. Also erklärte ich ihm, dass es sich dabei schlicht und ergreifend um handgemachte Produkte handelt und „made“ einfach das past participle oder die simple past- Form vom Infinitiv, also der Grundform „to make“ war. Er bräuchte also keine Angst zu haben, dass es sich dabei um Maden handeln würde. 

Fremdsprachen waren offensichtlich nicht Ernestos Steckenpferd. Er hatte ja schon nach dem Verlassen des Eies die menschliche Sprache erlernt, zumindest rudimentär so, dass ich ihn verstehen konnte. 

Beruhigt über die Information, dass „made“ von „to make“ kommt, suchte Ernesto jetzt gezielt nach handgemachten Produkten. Er stellte dabei fest, dass dies gar nicht so einfach war, weil die meisten angebotenen Produkte in Serie produziert und nur selten noch in Handarbeit hergestellt wurden. Serie heißt in dem Fall: am Fließband. Eine individuelle Fertigung und Verarbeitung des Produkts war eigentlich nicht mehr möglich, es sei denn es fiel mal vom Band. Da aber Ausschussware kein Zeichen für Handarbeit war, blieb nur der ausdrückliche Hinweis auf Handgemachtes. 

Ernesto lief daraufhin erst einmal zum Bäcker und besorgte eine Tüte voller Backwaren, die waren – so wurde ihm gesagt – alle handgemacht. Beruhigt über diese Information schlug Ernesto mir jetzt vor, dass wir ein Abendbrot mit handgemachten Lebensmitteln essen könnten. Das war gar nicht so einfach. Gurke und Tomate wuchsen ja von alleine, also blieb nur das Medium, auf das wir Gurke und Tomate legten. Wurst wurde meistens ebenfalls in Handarbeit hergestellt, zumindest von unserem Schlachter des Vertrauens. Kleine Molkereien sorgten dafür, dass auch Käse handgefertigt war, wenn auch nur in kleinen Stückzahlen. 

Wir stellten, gerade bei Käse- und Wurstwaren, einen lohnenswerten geschmacklichen Zugewinn für diese Produkte fest. Man kann sich jetzt zu der Aussage hinreißen lassen: Handmade kann wohl ein Qualitätsmerkmal sein. 

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Baumarkt 

Baumärkte haben etwas Kontemplatives, wie ich finde. Was das heißt, weiß ich nicht so genau, aber es klingt richtig und wichtig. 

Die Größe eines Baumarktes kann am besten erlebt werden, wenn man mal mit einer Schildkröte selbigen abläuft. Ernesto kam zur besseren und schnelleren Erkundung immer nur in den Einkaufswagen, weil dann konnte ich das Tempo vorgeben und war nicht ganz so genervt von Ernestos Trantütigkeit. 

Die Qualität von Baumärkten zeigte sich für Ernesto nicht etwa in ihrer Holzabteilung oder ihrem Schraubensortiment, sondern an den davor befindlichen Imbissbuden. Diese verfügten alle über eine Grundkonstante: Pommes. Ernesto liebte Pommes und so machte er die Qualität der Baumärkte davon abhängig wie gut die Pommes waren. Ketchup oder Mayo spielten da keine Rolle mehr. Der Name des Baumarktes war ebenfalls egal, nur die Qualität der Pommes war ausschlaggebend. Sie wurden insbesondere hinsichtlich ihrer Knusprigkeit und des Mundgefühls (was auch immer das ist) von ihm beurteilt. 

Eine andere von ihm in Erwägung gezogene Konstante zur Beurteilung war der Krautsalat, der in Eimern angeliefert wurde und daher nicht individuell zubereitet wurde, wie es Pommes aber eben wurden. Ebenfalls in Eimern daher kamen Mayo und Ketchup. Aber, wie schon erwähnt, dienten sie nur des Feintunings der Pommes, waren als Grundkonstante zur Bewertung von Imbissbuden daher auszuschließen. Die angelieferten Wurstwaren sollten möglichst aus der Region kommen, um eine geschmackliche Unverwechselbarkeit zu garantieren. Jede Currywurst erhielt so eine unverwechselbare Note. Rippchen und ähnliches sind ja in unseren Breiten nicht so angesagt. 

Zurück zum Baumarkt: Baumärkte sind Orte der Kreativität, sollte man denken. Aber man stellt beim Betrachten der Kundschaft schnell fest, dass es eher darum geht, als Heimwerker-Homie zu gelten. Was man mit seinen Händen erschafft, ist dann schon fast egal, Hauptsache man kann sich all samstaglich in die Baumarkt-Reihe an der Kasse stellen. Mein Alibi, um den Baumarkt an diesem Samstag besuchen zu können, wurde von Ernesto schnell in die Realität geholt, denn er hatte mal wieder Hunger. Zur Feier des Tages gab es natürlich Pommes. 

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Nacktschnecken

Davon, wie beglückt Ernesto war, endlich ein Tier entdeckt zu haben, das langsamer als Schildkröten war, berichtete ich bereits. Aber jetzt hatte er im Garten Nacktschnecken entdeckt und die fand er voll eklig. Denn deren Schleimspur war gefühlt noch größer als die von herkömmlichen Schnecken. Überhaupt wunderte ihn, dass diese Schnecken über gar kein Haus verfügten. Hatten sie keinen Bausparvertrag?

Es bedurfte einiger Aufklärung meinerseits bis er sie als gleichwertige Schnecken anerkannte. Seine Irritation bezüglich des fehlenden Hauses konnte wie schon gesagt von mir relativ schnell aufgeklärt werden. Dass sie dennoch so langsam waren, erschien Ernesto trotzdem merkwürdig.

Er überlegte, ob sich hier ein gezieltes Doping lohnen würde. Seine Überlegung war, wie er die Kriechgeschwindigkeit von Schnecken beschleunigen konnte und ob Schneckenhäuser dabei eine Rolle spielten, Stichwort Windschnittigkeit. Pfeffer und Chillipulver eigneten sich als hervorragende Dopingmittel für Schnecken, wie er herausfand. Sie beschleunigten die Kriechgeschwindigkeit von Schnecken ganz enorm, aber eben nur kurzfristig. Als wir dann jedoch in unserem Garten Schleimspuren fanden, die aussahen wie umgedrehte Bremsspuren, ließ Ernesto doch von seinem Versuch ab. Die Frage, ob mit Haus oder mit ohne spielte fortan keine Rolle mehr, weil die Beschleunigung der Schnecken im nicht messbaren Bereich lag. Auf langer Strecke wäre dies sicherlich messbar gewesen, aber über die kurze Distanz in unserem Garten war sie nicht erheblich. Außerdem schienen die Schnecken von der ungeahnten Feurigkeit des Chillipulvers bzw. Pfeffers geradezu überrascht zu sein. Mit so viel Geschwindigkeit konnten sie gar nicht umgehen und mussten dieser erstmal Herr werden. Also verzichtete Ernesto fortan auf jegliches Doping für Schnecken. Für sich selbst erschienen ihm sämtliche Dopingversuche zu waghalsig. Ein Geschwindigkeitsrausch sollte seiner Meinung nach stets natürlichen Ursprungs sein, nicht künstlich herbeigeführt werden.

Die Frage, ob Nacktschnecken als vollwertige Schnecken – auch ohne Haus – anerkannt werden sollten, wurde letztendlich von ihm in vollem Umfang bejaht. Die Frage, ob es Schneckenhäuser auch zur Miete gab, konnte von uns nicht abschließend geklärt werden.

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Zebrastreifen

Es ist schon bedenklich, dass zweibeinige Verkehrsteilnehmer Schutzzonen brauchen. Diese Schutzzonen boten auch Ernesto Anlass zu einer Kommentierung. Es war eine bodenlose Frechheit, dass Zebrastreifen nach dem Tier aus der Savanne benannt waren, so meinte Ernesto. Als ich sagte, dass Schildkröten-Streifen vielleicht etwas zu kompliziert klingen würden, gab Ernesto zu, dass der Name Zebrastreifen schon eingängiger war. Außerdem hätten Schildkröten wohl keine Streifen, und das war ja wohl anscheinend entscheidend bei der Namensgebung gewesen. Hinzu kam, dass Schildkröten auch beim Überqueren des selbigen viel zu langsam waren.

Diese Art des Fußgängerüberwegs, die erst seit den 50er Jahren in das Straßenverkehrswesen Einzug erhielt, erfreute sich zunehmender Beliebtheit. Allerdings müssen diese jetzt auch mal wieder von den Autofahrern ernster genommen werden. Ich sage dies als Nachbar eines Kinderspielplatzes, der jeden Tag mit ansehen muss, dass Autofahrer sich überhaupt nicht um das Wohlergehen der Kinder kümmern und lustig ihrer Wege fahren ohne jegliche Rücksichtnahme.

Also veranstalteten Ernesto und ich eine Aktion, um auf die Bedeutung von Zebrastreifen hinzuweisen und die Fahrer und Fahrerinnen zum Anhalten zu bewegen, speziell an unserem Zebrastreifen. Ernesto beschloss dabei, den Zebrastreifen in seinem Tempo zu bewältigen. Als einige Autofahrer nach 5 Minuten genervt aus dem Auto stiegen und fragten, wie lange er noch gedenke zu brauchen, sah Ernesto ein, dass er wohl den Zebrastreifen am besten getragen bewältigen kann, aber unsere Aktion wurde den Autofahrern durch das abrupte Unterbrechen der Fahrt auf diese Art und Weise dennoch deutlich.

Am besten tut man gut daran, gut gepanzert im Straßenverkehr zu sein, aber nicht jeder hat das Glück, einen Panzer sein eigen nennen zu können. Es bleibt auch fraglich, ob es Sinn machen würde, jedem Verkehrsteilnehmer einen Panzer zu geben. Was dann auf deutschen Straßen los wäre, kann man sich kaum ausmalen. Also bleibt nur die Vernunft als letzter Ausweg. Die Abrüstung auf deutschen Straßen bedeutet aber auch, dass SUVs aus dem Straßenbild endgültig verschwinden, denn die braucht kein Mensch. Die oftmals angeführte Übersicht über den Verkehr wird dann angesichts von Tieferlegungskits ad absurdum geführt.

Ernestos Zeit bei der Bewältigung eines Zebrastreifens setzt nach wie vor Geduld der anderen Verkehrsteilnehmer voraus. Liebe Autofahrer: Es hilft nur Langmut im Umgang mit anderen Verkehrsteilnehmern.

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Wolken

Seit Tagen reihte sich Wolke an Wolke am Himmel und es regnete häufig. Das Defizit an Sonnenenergie merkte man, nicht nur bei den Menschen, sondern auch bei den Tieren. Ernesto war deprimiert. Seine missmutige Stimmung drohte auf mich überzuschwappen. Im letzten Moment konnte ich mich dazu durchringen, einen Papphut aufzusetzen und für gute Laune in unserer Wohnung zu sorgen. Zwar verpuffte dieses Bollwerk an guter Laune schnell, aber zumindest war Ernestos Laune nicht mehr ganz so trübsinnig wie zuvor. Er überlegte, seinen Panzer mit Fingerfarben zu bemalen, aber das schien ihm dann doch zu schmodderig zu werden.

Da es mir immer noch unklar war, wie sich so etwas Schweres wie Wolken am Himmel halten konnte – sie wogen doch Tonnen – versuchte Ernesto mir das ganze physikalisch zu erklären. Da ich aber in Physik unterdurchschnittliche Begabung und somit Verständnis hatte, verhallten seine Erklärungsversuche nahezu ungehört und prallten an mir ab. Noch immer blieb mir dieses Faszinosum ein Rätsel. Trotzdem fand ich Wolken schön anzuschauen, auch wenn mir der wolkenlose Himmel am liebsten war. Da es in dieser Jahreszeit aber eher Wolken am Himmel gab, musste ich diesen Fakt so hinnehmen, ohne ihn wirklich zu verstehen.

Das ging mir mit anderen Fakten ja auch so, die ich nicht verstand. Zum Beispiel verstehe ich bis heute nicht, warum „die Ausländer“ Schuld sein sollen, wenn bei uns was doof läuft. Diesen Zusammenhang verstehe ich nicht und ich fürchte, dieser Zusammenhang wird mir – auch nicht von Menschen mit entsprechender Gesinnung – nicht logisch und verständlich erklärt werden können. Ergebnisoffene Erklärungen suche ich bislang vergebens. Die Schuldigen oder Leittragenden stehen klar fest.

Die Angst vor dem herunterfallenden Himmel trugen ja schon die Gallier mit sich herum. Das ist also nix Neues. Jeder aufmerksame Asterix und Obelix – Leser weiß davon. Nur hatte ich immer noch das Problem, dass ich nicht begriff, wie sich so etwas Schweres wie Wolken am Himmel halten konnte. Das Oben oder Über-uns bleibt wohl für viele unerklärlich. Vielleicht hilft ja – wie bei Asterix und Obelix – ein Schild auf dem Kopf als Schutz vor einem herunterfallenden Himmel, aber ich fürchte, das bringt nichts. So sollte eine stärkere Aufmerksamkeit auf das, was hier auf der Erde passiert, gerichtet sein.

Ernestos Versuch, mir die Zusammenhänge von Wolken und Wetter zu erklären blieb in den Unwägbarkeiten meines Unverständnisses stecken.

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Verkehrsschilder

Nicht zuletzt dienen sie – außer stetem Anlass des Ärgerns zu sein – dem einigermaßen reibungslosem Verkehrsfluss. Oft genug fragt man sich aber schon, was den oder die Aufsteller des Schildes dazu veranlasst hat, ausgerechnet an dieser Stelle dieses spezielle Schild aufzustellen. Verkehrsschilder können aber – im Gegensatz zu allgemeingültigen Regeln – nicht permanent überprüft werden, zumal es auch schwer wäre, dieses während der Fahrt zu tun. Manchmal muss man sich einfach darauf verlassen, dass diese schon einigermaßen sinnvoll aufgestellt sind.

Ähnlich wie Verkehrsschilder sollen ja Regeln den Alltag erleichtern, weil sie Verhaltensweisen eine allgemeine Gültigkeit verleihen. Genauso wie Verkehrsschilder den Verlauf des Verkehrs regulieren, so sollen auch Regeln den Alltag eigentlich regulieren und damit vereinfachen. Leider hat sich gerade in Deutschland die Einhaltung der Regeln über alles gesetzt und es wurden diese nicht mehr hinterfragt. Letztlich lassen sich alle Regeln überprüfen mit der einfachen Kinderregel: Was du nicht willst, das man dir tu`, das füg` auch keinem andern zu. Das Überprüfen von Regeln auf diese einfache Art sollte es doch einem jeden ermöglichen, sein Verhalten zu optimieren bzw. anzupassen.

Ernesto mochte Verkehrsschilder und Regeln überhaupt nicht, weil sie – so fand er – Auskunft über das Flair einer Stadt bzw. des Stadtteils (Kiezes) gab: Je mehr Schilder, desto doof, so seine Worte. Dass sie ihn an die Einhaltung von Regeln erinnern sollten, ignorierte er geflissentlich. Leider handelte er oft nach dem Motto: Wo ich bin, ist vorne bzw. oben. Verkehrsschilder holten ihn dann nur gelegentlich auf den Boden der Tatsachen zurück, zeigten ihm, was sie von ihm erwarteten und was nicht. Hätten die Verkehrsschilder gewusst, welche Wirkung sie auf Ernesto hatten – keine – wären sie freiwillig ins Exil gegangen. So aber blieben sie da stehen, wo sie eingemauert wurden und wurden weiterhin von ihm ignoriert.

Nur die Ästhetik der Einbahnstraßen-Schilder war, so fand er, unnachahmlich. Und so gründete Ernesto einen Einbahnstraßen-Fanclub. Dass es in dem Verein nur zwei Mitglieder gab, die sich vom jeweils anderen Ende der Einbahnstraße aus zuwinkten, muss ja hier nicht weiter erwähnt werden.

Welchen Wert Verkehrsschilder hatten, merkte Ernesto erst bei einem Stadtfest, in dessen Durchführung viele Schilder – vor allem Parkverbotsschilder – provisorisch aufgestellt wurden. Ernesto ließ sich dazu hinreißen, so ein provisorisches Schild einzupacken und wurde prompt dabei erwischt. Moral der Geschicht`: Schilder klauen lohnt sich nicht! (Gruß an A. aus WF )