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Herr Müller sieht die Welt

Sandalen 

Gerne werden Sandalen ja mit Socken kombiniert, das ist unsere Sache nicht. Auch Nagellack jeglicher Coleur fand nicht unsere Zustimmung. Trotzdem zogen wir bei warmen Temperaturen neben der Adilette auch gerne die Fußbekleidung der römischen Legionäre an. Diese haben ja damit Europa und Teile Afrikas erobert. Wir brauchten aber unsere Sandalen für weitaus pazifistischere Zwecke. Oder lief der Kiosk in unserem Kiez etwa Gefahr, von römischen Legionären auf einem ihrer Feldzüge erobert zu werden? Da dies nicht mehr zu befürchten stand, konnten wir uns ganz auf unseren Einkauf von Gummitieren, Lakritzschnecken und Weingummi konzentrieren. 

Der Kioskbesitzer begrüßte uns mit einem lang erwarteten „Hallo!“ und fragte Ernesto nach der Geländegängigkeit seines ferngesteuerten Autos, dass er ja selber bedienen und lenken konnte und trotz der Abgasproblematik für Ausflüge zum Kiosk gern mal wieder benutzte. Entgegen der üblichen Gewohnheiten an einer Trinkhalle, war Ernesto überzeugt von der Null-Promillegrenze und hielt sich daran. Nüchtern und voller süßer Wohltaten gingen wir in den nahegelegenen Park, den wir schon von vielen Ausflügen kannten, um den Sommer zu verabschieden. 

Die Sonne schien warm auf unsere Stamm-Parkbank, auf der wir saßen. Das Dummer war: Da wo sonst immer die Mülleimer standen, lagen zwei große Hundehaufen und die stanken bei diesen Temperaturen ganz erheblich, sodass wir auf eine andere Bank umziehen mussten, um unsere Süßigkeiten zu vernaschen. 

Dem Herbst wird im Wachstum der Pflanzen nur eine untergeordnete Rolle zugewiesen, dabei ist gerade in dieser Jahreszeit so viel zu beobachten. Mit herabfallenden Blättern und vor der Vorbereitung der neuen Wachstumssaison machen die Tiere sich winterfest, indem sie sich entweder auf den Winterschlaf vorbereiten oder in den Süden fliegen. 

Abgebaute Mülleimer sind ein gutes Indiz dafür, dass es Winter wird. Die Zeit der warmen Getränke und der heimeligen Gemütlichkeit hat wieder Oberhand. Ist ja auch angenehmer zu wählen, ob die Getränke kalt oder warm sind. Genauso würde man das auch gerne beim Wetter machen, leider geht es da aber schlechter. 

Im Zuge des Verabschiedens des Sommers wanderten auch unsere Sandalen in den hintersten Winkel des Schranks. Wir und sie erwarteten den nächsten Sommer. 

Kowalski lebt

Der Spiegel 

Juhu! Endlich können wir als Fußgänger sicher über den Fußweg vor unserem Haus stolzieren. Die Stadt hat den Spiegel genehmigt, sogleich – also Monate später – mit dessen Anbringung begonnen. Jetzt konnte ich mich mit Funkgerät bewaffnet auf die Lauer legen und zusammen mit Herrn Müller gefährliche Radfahrer aus dem Verkehr ziehen, da wir sie ja bereits aus der Ferne entdecken konnten. Viele zeigten sich jedoch immer noch uneinsichtig, wenn ich sie in meiner gewohnt freundlichen Art daraufhin ansprach. Dabei handelte ich doch auch in ihrem Interesse. Wollten sie das nicht sehen? Kein Radfahrer hätte gerne einen Fußgänger aufgegabelt, aber die Einsicht war auch in diesem Fall wie so oft Glücksache. Lotto spielen wollte keiner der von mir angesprochenen Radfahrer. Diesen von mir gemachten Witz verstanden sie nicht. Man muss halt, so merkte ich bald, die Witze stets auf das Niveau der Adressaten anpassen, sonst muss man viel zu oft alleine lachen. 

Den mahnenden Zeigefinger, den ich gegenüber den Radfahrern ob ihrer Fahrweise erheben müsste, spare ich mir jetzt mal. Aber trotzdem geht diese Fahrweise gar nicht mehr. Fußweg und Straße gehören euch nicht alleine! Das haben schon viele geglaubt und wurden eines Besseren belehrt. Fahrt endlich vernünftig, Regeln sind für alle da und nicht nur an Sonntagen! 

Der Spiegel gab außerdem einen hervorragenden Blick für mich aus meinem Küchenfenster in unseren Hauseingang, sodass ich immer sehen konnte, wer vor der Tür stand und klingelte. Ungebetene Besucher konnten so von mir mit Missachtung gestraft werden, die Tür blieb zu! Auch hatte ich so einen guten Überblick über die gesamte Fluktuation in unserem Haus. Man muss halt stets auf der Hut sein, um nicht Opfer von Bösewichten zu werden. Was Bösewichte sind, muss ja jeder für sich entscheiden. Menschen, die Unlauteres mit anderen vorhaben, sind von mir damit vor allem gemeint. Die gute Nase von Waltraut, um Bösewichte erkennen zu können, hat ja nunmal leider nicht jeder. 

Die guten Gerüche der Damenwelt, die von ihr in unserem Treppenhaus hinterlassen wurden, verflogen häufig viel zu schnell, als dass diese Anlass für Fantasien geben könnten. Waltrauts feine Nase brauchte man bei diesen Gerüchen wahrlich nicht. 

Innerhalb des Treppenhauses half der Spiegel weniger, da musste man sich auf sein Gespür verlassen. Ich konnte mich auf mein Gespür und die Nase von Waltraut verlassen. 

Ach, wären doch alle Menschen wie Waltraut! 

Herr Müller sieht die Welt

Brustbeutel 

Brustbeutel sind ja für Schildkröten eher ungeeignet. Die Gefahr ist groß, dass sie sich damit erwürgen. Aber auch Geldgürtel um den Panzer gewickelt ergeben ein Problem. Münzen und Kleingeld kann in ihnen nur in geringer Menge eingefüllt werden. Aber kaum jemand trägt ständig Geldscheine mit sich rum, Schildkröten schonmal gar nicht. Die wenigsten Schildkröten haben Kreditkarten, dabei würden diese für sie am meisten Sinn machen. Nur mit der Unterschrift, die den Kauf bestätigen, haben Schildkröten so ihre Probleme. Im Zeitalter von Online-Banking genügt ja ein digitaler Pfotenabdruck. Bei der Gelegenheit müsste man sich fragen, ob alle vier Pfoten denselben Abdruck haben, ich gehe einfach mal davon aus. 

In Ernestos Fall gab es vor allem das Problem des Schiebens des Einkaufwagens, ferngesteuert gibt es diesen ja noch nicht. Das selbstständige Einkaufen im Supermarkt ging daher nicht. Stattdessen war es von Vorteil, dass er beim Gemüsehändler alles bekam, was er brauchte. Dort konnte er anschreiben lassen und seine Auswahl mündlich Herrn Yilmaz mitteilen. Oft kam er dann völlig vergnügt mit einem prall gefüllten Einkaufskorb nach Hause und wollte kochen. Da er dazu meine Hilfe benötigte, musste ich ihn – sehr zu seinem Bedauern – immer mal wieder vertrösten, weil ich oft genug Arbeit mit nach Hause brachte und noch einiges zu tun hatte. Auch auf dem Amt hat sich inzwischen die Möglichkeit von Home Office im Laufe der Zeit immer weiter ausgebaut. 

Die Möglichkeiten des online Einkaufs waren Ernesto zu anonym und Amazon war seine Sache nicht. Den Weltraumflug eines durchgeknallten Milliardärs wollte er nicht mitfinanzieren. Außerdem hatte er eher Mitgefühl mit den armen Paketboten, insbesondere nachdem er per Drohne den Alltag der Paketboten live sehen konnte. 

Apropos durchgeknallte Milliardäre – die gibt es ja nicht so häufig, also so voll durchgeknallte, größenwahnsinnige… Man könnte sich mal fragen, ob auf dem Mars neuer Ort zum Zerstören gesucht wird. Haltet doch hier alles sauber, rein und friedlich, dann müsstet ihr nicht zum Mars fliegen. Außerdem lauft ihr immer Gefahr, dass ihr die Probleme dorthin mitnehmt und exportiert, statt sie auf der Erde zu lösen. 

Zurück zum Brustbeutel: Ich bevorzuge Portemonnaies, Brustbeutel lassen Menschen eher wie Kleinkinder wirken. Portemonnaies sind aber wiederum für Schildkröten nichts, da diese eher selten über Hosentaschen verfügen. 

Kopfwürmer

Taschenlampe 

Meine Erkrankung soll wie schon erwähnt bei meinen Texten nur eine untergeordnete Rolle spielen, da ich glaube, dass viele Menschen die gleichen Ängste haben wie ich, auch wenn sie nicht erkrankt sind. 

Die Zukunft stellt sich immer wieder als dunkler Raum dar, deren Helligkeit nur vom eigenen Handeln abhängt. Die Helligkeit muss ja nicht immer taghell sein, also lasst uns zu Taschenlampen greifen und uns den Weg ausleuchten! Jeglicher Versuch, den Weg des Lebens zu beschreiten (Pathos, Pathos…hurra!), ist bei genauerer Planung zum Scheitern verurteilt, es sei denn, er ergießt sich in der Feststellung, irgendwann ein Ziel erreicht zu haben. Das soll nicht heißen, dass sämtliche Ziele im Leben überflüssig werden, sondern vielmehr, dass das Leben eine ständige Anpassung an tatsächliche Gegebenheiten erfordert und zwar von jedem, egal ob er erkrankt ist oder nicht. In meinem Fall wäre dies das Leben mit dieser blöden Erkrankung. Meine Taschenlampe ist mein Wille, das Leben trotz der Krankheit nicht im Dunkeln enden zu lassen, sondern diese mithilfe der Taschenlampe so gut es geht auszuleuchten. 

Unwägbarkeiten können so oft rechtzeitig erkannt werden und müssen nicht zwangsläufig zu Sackgassen werden. Das Weiterleuchten zeigt mir, wie der Weg durch die Dunkelheit trotzdem immer weitergeht. Es zeigt mir aber auch, dass links und rechts von dem Taschenlampenlicht Dunkelheit herrscht und der Fokus vor allem durch mein Handeln verändert wird. Was dabei stets schwerfällt, ist die Abhängigkeit von anderen, die nervt mich. Abhängig ist letztlich ja jeder von anderen. Aber in meinem Fall – also wegen der Erkrankung bzw. der Tatsache, dass ich im Rollstuhl sitze und mich nicht mehr selbstständig fortbewegen kann – wird die Abhängigkeit unmittelbarer. 

Gerade deshalb müssen immer genug Batterien für die Taschenlampe vorhanden sein, alles, was dazu beiträgt, das Licht leuchten zu lassen oder sogar heller leuchten zu lassen. Die Batterien können individuell verschieden sein. Dies können zum Beispiel sein: der Besuch eines Konzerts der Lieblingsband, der Überraschungsbesuch von lange nicht mehr gesehenen Menschen, Freunde oder – das Wichtigste – die Familie. 

Letztlich ist man immer selber dafür zuständig, so blöd sich das anhört, dass die Batterien nie leer werden. Also lasst uns die Taschenlampe stets dazu benutzen, den Weg hell erstrahlen zu lassen. 

Herr Müller sieht die Welt

Kowalski ihm sein Anglizismus 

Ernesto und ich waren wieder mal mit der Treppenhaus-Reinigung unseres Mietshauses dran. Natürlich ließ es sich Kowalski nicht nehmen, unsere Arbeit zu prüfen und fragte mich bei dieser Gelegenheit, ob es einen Unterschied gäbe zwischen me, myself und I. Eher verblüfft über den Sender der Botschaft, antwortete ich ihm, das würde davon abhängen, wie der semantische oder lexikalische Bezug wäre, in dem sie gebraucht werden würden. Man dürfe sie jedenfalls nicht mit Homonymen oder Homophonen verwechseln, die zwar in ihrer Bedeutung gleich wären, aber in ihrem Klang oder Schriftbild unterschiedlich wären. Befriedigt mit dem Gehörten zog Kowalski von dannen und ging in seine Wohnung. 

Völlig überraschend drehte er sich noch einmal in seiner Wohnungstür um und lud Ernesto und mich zu Kaffee und Kuchen zu sich am Nachmittag ein. Gegen 15 Uhr klingelten wir daher bei Kowalski und wurden von lauter Musik empfangen. Kowalski hatte zum Nachmittagskaffee auch seine Tanzkapelle eingeladen, mit der er gelegentlich zu Hochzeiten und anderen Feiereien zum Tanz lud. Erwartungsschwanger sah Kowalski uns an und erwartete wohl, dass wir uns zum Gehörten äußerten. Als das dann ausblieb, verfinsterte sich seine Miene. Um schnell zum eigentlichen Anlass des Besuchs – zu Kaffee und Kuchen – überzugehen, äußerte ich mich sehr positiv über die Gestaltung seiner Wohnung und Kowalskis Laune war etwas besänftigter. Ganz nebenbei: Die Musik war scheiße, fand ich, aber das ist ja meine persönliche Meinung. 

Das Problem mit Herrn Kowalskis Anglizismen stellte sich erneut, weil er mir jetzt ein Gerät präsentierte, was die Aufschrift (Achtung: Deutsch ausgesprochen!) „Made in Japan“ trug. Er wusste beim besten Willen nicht, was Made hier zu bedeuten hatte, gab sich dann aber mit meiner Erklärung überzeugt zufrieden. Damit war das Problem mit Kowalskis Anglizismen zufriedenstellend gelöst und wir konnten uns jetzt endlich Kaffee und Kuchen widmen. 

Die Verwendung englischsprachiger Begriffe in unserer Sprache klingt zwar neudeutsch oder cool, ist aber für die Kowalskis oder älteren Menschen unserer Gesellschaft irreführend oder missverständlich. Man spricht ja in diesem Zusammenhang gerne von der McDonaldisierung der deutschen Sprache. Stellt sich dann nur die Frage, was für den Benutzer der Big Mac und was der Royal ist. Die Individualisierung der Sprache sollte einem Jeden bewusst sein, auch wenn jede Generation einen bestimmten Duktus in der Sprache hat und bestimmte Begriffe benutzt, um Positives oder Negatives auszudrücken. Aber Anglizismen sollten meiner Meinung nach da bleiben, wo sie hingehören: in den englischsprachigen Ländern dieser Welt. 

Kopfwürmer

Die Klugscheißerei 

Die banale Klugscheißerei wurde von mir zur Profession geadelt. Nicht mehr nur einfach alles besser wissen, sondern jetzt auch mit staatlichem Examen alles besser wissen zu dürfen / müssen. 

Das war zunächst eine schöne Sache, aber je häufiger das Ganze angezweifelt wurde, desto anstrengender wurde es. Nicht wegen der anschließenden Diskussion, sondern wegen der permanenten Unterstellung, es nicht besser zu wissen. Das kann schon sehr nerven! Dabei war doch mein Besserwissen staatlich lizensiert und Schlausein macht leider manchmal ganz schön einsam. Aber nun ja, in der Not frisst der Teufel Fliegen, wie man so schön sagt. Ich entschied mich also, mich doof zu stellen, denn Doofe haben es meiner Beobachtung nach leichter im Leben. 

Das genau wurde auch zu meinem Grundproblem: Etwas zu wissen wird von der Umwelt stets in Frage gestellt. Das macht Wissen oft sehr anstrengend. Nichts zu wissen, macht dagegen nichts, um mal einen alten Sponti-Spruch zu bemühen. Ein anderer wäre ja dann: Wissen ist Macht. Wie sehr Wissen Macht ist, wird mir immer klarer, je mehr mein Wissen angezweifelt wird. Aber auch sich doof stellen , hilft auf Dauer nicht. Doofheit muss irgendwie authentisch sein, sonst wirkt sie unglaubwürdig. 

Schwierig wird`s nur, wenn Doofheit mit Schlauheit verwechselt wird. Man sollte stets darauf achten, dass Aggressionen oder Dominanz kein Zeichen von Intelligenz sind. 

Das Feld der Doofheit wird von vielen Treckern gepflügt. Aber auch hier können viele Köche den Brei verderben. Treckerfahren darf man ja auch schon ab 16 Jahren. Dies könnte einen schon zu dem Hinweis verleiten: Kinder an die Macht. Jedoch, das alte Grönemeyer-Album „Sprünge“ greift nach meinem Dafürhalten zu weit, weil ich glaube, dass Kinder noch nicht weit genug sind, diese Macht auszufüllen. Ihre Naivität hilft nur im ersten Moment, gemischt mit Erwachsenenverhalten kann daraus eine brisante Mischung werden. Auch hier stellt sich das Problem, dass Kindern oft Eigenschaften zugeschrieben werden (meist von den Eltern), die über die eigentlichen Fähigkeiten hinausgehen. 

Fazit: 16 jährige Treckerfahrer können zur Gefahr für den Straßenverkehr werden, wenn auf dem Feld der Dummheit gepflügt wird. Das gilt natürlich nicht für staatlich lizensierte Klugscheißer. 

Herr Müller sieht die Welt

Händy 

Die Zahl der Telefonzellen nahm rapide ab in den letzten Jahren. Das fiel auch Ernesto auf und er fragte, wie das denn zu erklären sei. Er vermutete, dass entweder alle jetzt eigene Telefonzellen hätten oder – was wahrscheinlicher war – alle jetzt vor allem mit ihren Handys telefonierten. Wie zur Bestätigung zeigte er mir sein Handy, das ein besonderes Foto auf der Oberfläche hatte. Es zeigte nämlich Ernie und ihn im Hinterhof beim gemeinsamen Kaffee und Kuchenessen auf dem Straßenfest. 

Seitdem Ernesto ein eigenes Handy hatte, hing er ständig an selbigem und war für Kommunikation mit mir überhaupt nicht mehr greifbar. Das nervte mich ganz gewaltig! Als dann eines Tages sein Handy ins Klo fiel, war er auf direkte Kommunikation mit mir zurückgeworfen. Ich nutzte die Gelegenheit, um mit ihm mal ein paar Dinge zu vereinbaren. Zum einen nervte mich sehr, dass jegliche Kommunikation nicht mehr stattfand und zum anderen, dass er sich stattdessen mit Ernie am Handy über etwaige Unbill unterhielt. Probleme sind doch aber dazu da, um sie in einem Gespräch direkt mit der betreffenden Person zu lösen und nicht mit Dritten über die betreffende Person in digitalen Medien abzuwettern. 

Der eigentliche Sinn von Telefonen wird durch die neue Art der Kommunikation mit den Handys ad absurdum geführt. Die Kommunikation, um deretwegen man ja eigentlich telefoniert, steht nicht mehr im Mittelpunkt des Telefonierens, also der Benutzung des Telefons. Vielmehr sind die anderen Funktionen des Telefons in den Mittelpunkt der Benutzung gerutscht. Das Telefon wird zum Statussymbol, weil es im besten kantschen Sinne nicht mehr Mittel zum Zweck ist, sondern Selbstzweck. 

Ernesto benutzte sein Handy vor allem als Fotoalbum und eine Vielzahl von Fotos zeigten ihn und Ernie in diversen Lebenssituationen, wobei er größten Wert darauf legte, stets gut getroffen zu sein. Wie Ernie aussah, war ihm relativ egal. 

Wir vereinbarten daraufhin, dass Ernesto jetzt wieder für eine direkte Kommunikation mit mir zur Verfügung stand. Ernesto musste sich an diesen Gedanken erst einmal wieder gewöhnen, fand das aber letztlich doch besser als über ein Medium mit mir zu sprechen. 

Die direkte Kommunikation zwischen zwei Menschen eröffnet beiden ungeahnte Möglichkeiten! Probieren Sie es mal aus, es lohnt sich meistens! Wenn nicht, sagen Sie mir bitte Bescheid. 

Herr Müller sieht die Welt

Weihnachten bei Ernesto 

Genau wie ich liebte Ernesto Weihnachts-Knabbereien, aber im Gegensatz zu mir genoss er diese auch ohne Kaffee. Hauptsache, er konnte Lebkuchen essen. Ernesto hatte beschlossen, dass anstelle eines Adventskranzes auf seinem Panzer jeden Sonntag eine neue Adventskerze angezündet werden sollte, natürlich nur für den jeweiligen Tag. Das Bild von einer Schildkröte mit vier brennenden Kerzen auf dem Panzer stellte ich mir lustig vor, aber noch war es ja auch Zeit bis zum 4. Advent. 

Als es dann so weit war, stellte sich vor allem das Schmücken des Baumes als Problem heraus. Ernesto und ich hatten völlig gegensätzliche Ansichten über das ausgewogene Schmücken eines Baumes. Ernesto wollte Lametta und Elektrokerzen, ich wollte dagegen möglichst viele Strohsterne, Holzanhänger und echte Kerzen. Auch bei der Auswahl des Stollens waren wir geteilter Meinung. Ich mochte Rosinen, er nicht. Einig waren wir in der Abneigung von Dominosteinen, diese fanden wir beide eklig. 

Wir beschlossen, den Tannenbaum zu teilen. Für die eine Hälfte des Schmückens war Ernesto zuständig, für die andere Hälfte ich. Die innerdeutsche Staatsgrenze war nichts gegen den geteilten Weihnachtsbaum von Ernesto und mir. Bis auf die Tatsache, dass er über keinerlei Selbstschussanlagen verfügte, war die Teilung schon sehr offensichtlich. Selbst ein Blinder konnte sehen, dass in diesem Haushalt wohl zwei gegensätzliche Lebewesen lebten. Nie hätte ich gedacht, dass Weihnachten zu solchen Zwistigkeiten führen könnte. Aber wie ich schon von so manchem hörte, ist gerade das Fest der Stille Anlass für so manchen Streit. 

Der nächste Punkt, über den wir uns einig werden mussten, war das Weihnachtsessen. Ernesto wollte Würstchen und Kartoffelsalat, mir war das zu profan. Mir stand mehr der Sinn nach Braten, Rotkohl und Klößen. Unser ortsansässiger Bio-Bauer hatte noch zwei Gänsebraten zur Verfügung. Wir mussten uns also beeilen, um noch einen zu erhaschen. Nachdem wir einen der Braten noch ergattern konnten, konnte ich Ernesto von der Schmackhaftigkeit dieses Festmahls mit Rotkohl und Klößen überzeugen. 

Ernie und Bert waren hoch erfreut, gemeinsam mit ihrem Anhang zu unserem Weihnachtsessen zu kommen. Nachdem alle gesättigt waren, mehr oder weniger glücklich über ihre Geschenke – Ernie bekam von Ernesto ein Terraband, um sich körperlich ertüchtigen zu können – sang Ernesto zu unser aller Begeisterung Weihnachtslieder begleitet mit seiner Spezialgitarre. Den Abschluss des Abends bildeten Glühwein und Punsch, der von uns in vollen Zügen genossen wurde. 

Fröhliche und besinnliche Weihnachtstage wünschen euch Herr Müller und Ernesto! 

Herr Müller sieht die Welt

Schnecken 

Völlig außer Atem vor Aufregung erzählte Ernesto mir eines Tages begeistert davon, dass er nicht das langsamste Tier im Tierreich sei. Er habe jetzt Schnecken entdeckt und die seien viiieeel langsamer als Schildkröten. Außerdem berichtete er, dass sie immer so eine Schleimspur hinterlassen würden, die fand Ernesto ziemlich eklig. Sein Versuch, mal eine Schnecke zu einem Wettrennen herauszufordern, blieb bisher unbeantwortet, aber vielleicht findet sich ja noch ein Gegner. 

Den Witz mit der Schnecke auf der Schildkröte, die sich zum Ausruf „Hui!“ hinreißen lässt, fand Ernest gar nicht witzig, wo wir bei der Relativität von Geschwindigkeit wären. Was für Schnecken normale Geschwindigkeit ist, ist für Schildkröten wirklich langsam. Also fragt sich dann, wie schnell die Geschwindigkeit von Menschen für Schildkröten und Schnecken wirken musste. 

Das Sprichwort In der Ruhe liegt die Kraft konnte Ernesto nur bedingt unterschreiben, da er schon ein eher langsamer Zeitgenosse war. Das Sprichwort macht ja nur dann Sinn, wenn man die Wahl hat, ob etwas schnell oder langsam geht. Und das mit dem Schleim: Darauf konnte er getrost verzichten. Das wurde ja auch im Sprichwort nicht erwähnt. 

Trotzdem ließ es mich als Angehörigen der schnelleren Spezies mal darüber nachdenken, dass Schnelligkeit nicht das Gebot der Stunde sein kann und auch gar nicht sein sollte. Was mir gar nicht bewusst war: Mit Schnelligkeit schließt man von der Beteiligung einige Menschen aus. Zum einen wird Schnelligkeit häufig als Hektik interpretiert, zum anderen können eben viele Menschen nicht mehr so schnell reagieren wie gefordert. Das heißt aber nicht, dass sie nicht mental teilnehmen oder den Gedanken nicht nachvollziehen können. Ernesto war ja der Ansicht, es sei besser, Dinge mit Bedacht anzugehen. Das hieß nicht, sie langsamer zu erledigen, sondern stets über das zu Tuende nachzudenken, um dann zu einer wohl durchdachten Tat zu schreiten. 

Mir fiel zu dem Wettrennen zwischen Schildkröte und Schnecke noch die berühmte Parabel vom Wettrennen zwischen Hase und Igel ein. Um Ernesto ein ähnliches Schicksal zu ersparen wie dem Hasen in der Parabel, schlug ich ihm vor, sich niemals auf ein Rennen mit einer Schnecke einzulassen, da diese in unseren Breiten im Zweifelsfall über mehr Artgenossen verfügte als Schildkröten. Natürlich hörte Ernesto nicht auf mich und nahm ein Rennen mit einer Schnecke an. Mit Stirnband bewaffnet erwartete er den Tag des großen Rennens. Meine Aufgabe war es, ihn während des Rennens mit ausreichend Flüssigkeit zu versorgen. Als Rennstrecke war unser Hinterhof ausgewählt worden. Entgegen meiner Befürchtung gewann Ernesto das Rennen, wenn auch nur knapp. Zur Belohnung gab es von mir dann diesmal ein Siegeressen. 

Auch wenn Ernesto gewann, Schnelligkeit ist dennoch oft nicht das anzustrebende Ziel, sondern die Qualität und die Absicht der Handlung sind entscheidend. 

Kowalski lebt

Zäune vs. Hecken 

Viele werden es schon bemerkt haben: Häufig werden Zäune oder Hecken zur Einfriedung eines Grundstücks genutzt. Wobei Hecken die weitaus freundlichere Variante ein und desselben Zweckes sind. Der Zweck heißt: Draußen bleiben! 

Hecken reichen noch eine Flasche Rotwein dazu, Zäune sind da direkter. Zäune werden häufig in Fachgeschäften verkauft, fertige Hecken dagegen weniger. Sie müssen erst über Jahre wachsen, genau wie Weine, eine gewisse Reife erlangen. Zäune sind also mehr Ausdruck einer Industrialisierung. Die biologischere Variante sind Hecken, sie wirken auch freundlicher und weniger drastisch. Zur Abgrenzung von Wohnbereichen, man könnte auch sagen Lebensbereichen, sind sie aber dennoch häufig gern genommen. 

Im Fall unseres Mietshauses kam eine Mischung aus beiden zum Tragen. Erst kam der Zaun, dann wuchs an ihm eine Hecke empor. Natürlich kümmerte ich mich maßgeblich um ihre Pflege und Wässerung. Die Hecke wuchs und gedieh und überwucherte den Zaun im Laufe der Jahre schließlich gänzlich. 

Aber fragen Sie jetzt nicht, wie es dazu kam… Das Hickhack ob Zaun oder Hecke dauerte zuvor einige Jahre. Schließlich war der Zaun zunächst als Wachstumshilfe gerne gesehen. Je höher und eigenständiger die Hecke wuchs, desto schöner fanden sie die anderen Bewohner des Hauses. Den Sinn und Zweck von Zäunen könnte man so auch als reine Wachstumshilfe für Hecken beschreiben. Aber oft genug beschränkt sich die Benutzung von Zäunen nicht nur darauf. Die Menschen sind scheinbar schon zu sehr an die Benutzung von Zäunen gewöhnt. Nur der Zaun als Begrenzung wirkt nackig. 

Menschen neigen eher zu Zäunen oder sogar Mauern und sind sich deren Wirkung gar nicht bewusst. Die Bedeutung von Mauern sollte gerade uns Deutschen in schmerzhafter Erinnerung sein. Dennoch wählen Menschen oft diese Variante, um ihren Besitz oder Dinge zu schützen. So ganz leuchtete mir das aber nie ein. 

Waltraut sagte mir mal in einer stillen Stunde, dass es für sie sehr wohl einen großen Unterschied zwischen Zäunen und Hecken gäbe. Und zwar in ihrem Bepinkelungsverhalten. Da seien Hecken viel angenehmer und weniger hart. Außerdem spritzen sie weniger zurück. In der Frage, ob Hecke oder Zaun würde ihre Wahl also immer auf die Hecke als Ort der Erleichterung fallen. 

Ach wenn doch alle Menschen wären wie Waltraut!