Blog

Herr Müller sieht die Welt

Schnürsenkel 

Nachdem Ernesto mehrfach mit offenen Schnüren an den Füßen herumgelaufen und auf selbige getreten war, beschloss er, jetzt nur noch Schuhe mit Klettverschlüssen zu kaufen. Diese waren für ihn leichter zu öffnen und zu schließen. 

Doof war eben nur, dass sie ständig mit anderem Kram, Flusen und Haaren, vollhingen, sodass ihre Funktion nur noch eingeschränkt vorhanden war. Auch die Passgenauigkeit ist mit Klettverschluss nicht mehr so gegeben wie mit Schnürung. Außerdem bestand die Gefahr, dass er versehentlich an meiner Allwetter-Jacke hängenblieb, da die auch über Klettverschlüsse verfügte. So `ne Schildkröte an der Jacke ist zwar schicker als `ne Brosche oder `nen Statement Pin, aber läuft dann Gefahr, aufgrund ihres Gewichts herunterzufallen. Dennoch überwogen die Vorteile für Ernesto. Es war gar nicht so einfach, solche Schuhe in passender Größe für Ernesto zu finden, aber schließlich hatten wir es, genau wie bei den Adiletten, geschafft. 

Ernestos neue Leidenschaft galt jetzt dem Wandern. Das dauerte zwar ziemlich lange – ich konnte dieselbe Strecke natürlich in viel kürzerer Zeit hinter mich bringen – aber dennoch ließ sich Ernesto nicht davon abhalten, mit mir wandern zu gehen. Ernestos neue Leidenschaft war für mich relativ zeitintensiv. Das Wandern an sich tat uns dennoch gut, weil wir an der frischen Luft waren und unseren Bewegungsdrang ausleben konnten. Nur in Sachen Allwetterjacke war Ernesto relativ aufgeschmissen, diese gab es in seiner Größe nicht. So musste er seinen Panzer nach wie vor nackig tragen. Auch Rucksäcke waren für ihn doof zu tragen, weil sie ihm ständig auf den Kopf rutschten, zumal er eh nicht gewusst hätte, was er dort hätte verstauen sollen. Sämtliche Getränke wurden ja von mir getragen. Anderes Wanderutensil gab es für Ernesto auch nicht, zum Beispiel Kniebundhosen und Wanderstöcke, oder sie waren für ihn nicht praktikabel. 

Spannend war es zu entdecken, wie die Wanderwege gekennzeichnet waren, sodass man quer durch Deutschland laufen konnte und nur gelegentlich von Autobahnen oder Bundesstraßen dabei gestört wurde. Eine Wanderung durch ganz Deutschland kam für uns aber nicht in Frage, weil Ernestos Tempo beim Wandern eher hinderlich war und ich dafür kein Sabbatjahr nehmen wollte. 

Zurück zu den Schnürsenkeln: Es wird deutlich, wie wichtig eine gute Schnürung auch bei Schildkröten ist. Schuhwerk – egal ob mit Schnürsenkel oder mit Klettverschluss – sollten stets genug Halt bieten. 

Herr Müller sieht die Welt

Haustiere 

Es war wieder einmal Sonntag und Ernesto und ich saßen beim gemeinsamen Frühstück, in dessen Verlauf mir Ernesto eröffnete, dass er gerne ein Haustier hätte. Die Vorstellung von ihm mit einer Hundeleine im Maul fand ich sehr lustig und es fragte sich dann, wer mit wem Gassi geht. Aber das Problem stellte sich gar nicht, da ihm Hunde zu schnell liefen. Es blieben also nur Haustiere, die sich in einem räumlich begrenzten Radius bewegten. Nachdem Meerschweinchen und Kaninchen von Ernesto abgelehnt wurden, fiel unsere Wahl auf Fische. Diese konnten den ganzen Tag von Ernesto in ihrem Aquarium beobachtet werden. 

Nachdem Ernesto mehrere Stunden vor dem Aquarium saß und die Fische anglotzte, fragte er mich, ob man Fischen auch Kunststückchen beibringen konnte. Zum Beispiel wäre es doch cool, wenn die Fische als geschlossener Schwarm mit oder gegen den Uhrzeigersinn im Kreis schwämmen und auf Kommando ihre Richtung ändern könnten. Ich verfügte auch über keinerlei Erfahrungen mit Fischen und Kunststücken und konnte ihm daher nur raten, es auszuprobieren. 

Ernesto hatte außerdem die Idee, weil ihm das Glotzen auf das Aquarium ziehmlich stupide vorkam – ähnlich wie das Glotzen auf einen Fernsehbildschirm – einen eigenen TV-Kanal ins Leben zu rufen, auf dem man Fische im Aquarium beobachten konnte. Er würde den Sender „Schildkröt-TV“ nennen. Bei Schildkröt-TV würden dann zusätzlich alle Themen behandelt werden, die moderne, aktive Schildkröten so interessieren, also alle Dinge, die Ernesto so unternahm und beschäftigten. Ob seine Lebensweise formatfüllend war, wusste er noch nicht, aber er wollte es zumindest mal ausprobieren. Mein Tipp – wenn es nicht gleich für einen ganzen TV-Sender reichte – es mal mit einem Youtube-Kanal oder sonstigen digitalen Formaten zu probieren. Er war dankbar für die Anregung, aber dazu später. 

Zurück zu unseren Fischen: Zunächst galt es zu klären, wie man den Fischen beibringt, im Schwarm im Kreis zu schwimmen. Mit Hilfe eines Laserpointers, mit dem Ernesto auf der Aquarienoberfläche eine kreisförmige Bewegung machte, sollten die Fische lernen, sich zunächst im Schwarm zu bewegen und im nächsten Schritt in einem Kreis zu schwimmen. Das klappte schon nach dem 195sten Mal recht gut, sodass Ernesto nun dazu überging, den Fischen beizubringen, was es hieß, mit und gegen den Uhrzeigersinn zu schwimmen. Ihnen das beizubringen, dauerte eine lange Zeit, aber letztlich begriffen sie auch dieses. 

Wer hätte gedacht, dass man Fischen Kunststücke beibringen kann? 

Herr Müller sieht die Welt

Alter 

„Alter, haste das gesehen?“ platzte es aus Ernesto heraus, als er ein Fahrrad gesehen hatte, das an einer Hauswand gelehnt war. Dieses verfügte nämlich über einen Riemenantrieb statt einer Kette. Viele Kraftfahrzeug-Besitzer werden das kennen, da Autos Steuerketten oder Keilriemen haben. Verblüfft über Ernestos Ausdrucksweise, zeigte ich mich dennoch offen für das angesprochene Thema. Die meisten Fahrräder werden ja über Ketten angetrieben, so auch unser Liegerad, von daher war der Antrieb über einen Riemen schon sehr außergewöhnlich. 

Wie schon geschildert, ist Zeit für Schildkröten eher relativ als minutiös. Daher ist auch ihr Alter eher durch Zeiträume geprägt als an Jahren oder Monaten festgemacht. Ernesto war also gemessen in Zeiträumen vielleicht jünger, als er tatsächlich war. Die Frage, wer von uns beiden der Ältere war, war also nicht so leicht festzustellen. Aber da es auch keine Rolle spielte, war es mir relativ schnurz. 

Interessanter fand ich da den Gedanken, dass man sich oft von den ersten Erwartungen täuschen lässt und erst auf den zweiten Blick erkennt, was dahintersteckt, sei es beim Antrieb des Fahrrads (Zahnriemen oder Kette) oder beim ersten Eindruck von Lebewesen. Häufig genug lässt man sich vom ersten Eindruck blenden. Auch der zweite Blick sollte einer genauen Überprüfung seinerseits, also des Betrachters, standhalten. Das erfordert natürlich vom Betrachter und vom Betrachteten zweierlei Dinge: zum einen, dass man erkennt, was man da betrachtet und zum anderen als Beobachteter, dass man weiß, dass man beobachtet wird und nicht versucht zu täuschen, also mehr zu scheinen als zu sein. 

Häufig genug lassen sich viele Menschen von dem Spruch: „You never get a second chance to make a first impression“ leiten, jedoch soll das nicht davon abhalten, immer mal wieder sein Bild zu hinterfragen. Wenn man dann feststellt, dass Selbstbild und Fremdbild (sofern man das zulässt) sehr stark divergieren, sollte man sich gelegentlich mal fragen, warum und nötigenfalls anpassen. Wenn man nur dazu neigt, Menschen der Einfachheit halber in Schubladen zu stecken, dann sollte einem dieses durchaus bewusst sein. Vorurteile können ja auch durchaus nützlich sein, müssen aber stets hinterfragt werden, weil ihre vorsortierende Wirkung schnell dazu führen kann, dass Meinungen nicht mehr überprüft werden und als gegeben hingenommen werden. 

Also deshalb Vorsicht bei jugendlich wirkenden Schildkröten! 

Herr Müller sieht die Welt

Sandalen 

Gerne werden Sandalen ja mit Socken kombiniert, das ist unsere Sache nicht. Auch Nagellack jeglicher Coleur fand nicht unsere Zustimmung. Trotzdem zogen wir bei warmen Temperaturen neben der Adilette auch gerne die Fußbekleidung der römischen Legionäre an. Diese haben ja damit Europa und Teile Afrikas erobert. Wir brauchten aber unsere Sandalen für weitaus pazifistischere Zwecke. Oder lief der Kiosk in unserem Kiez etwa Gefahr, von römischen Legionären auf einem ihrer Feldzüge erobert zu werden? Da dies nicht mehr zu befürchten stand, konnten wir uns ganz auf unseren Einkauf von Gummitieren, Lakritzschnecken und Weingummi konzentrieren. 

Der Kioskbesitzer begrüßte uns mit einem lang erwarteten „Hallo!“ und fragte Ernesto nach der Geländegängigkeit seines ferngesteuerten Autos, dass er ja selber bedienen und lenken konnte und trotz der Abgasproblematik für Ausflüge zum Kiosk gern mal wieder benutzte. Entgegen der üblichen Gewohnheiten an einer Trinkhalle, war Ernesto überzeugt von der Null-Promillegrenze und hielt sich daran. Nüchtern und voller süßer Wohltaten gingen wir in den nahegelegenen Park, den wir schon von vielen Ausflügen kannten, um den Sommer zu verabschieden. 

Die Sonne schien warm auf unsere Stamm-Parkbank, auf der wir saßen. Das Dummer war: Da wo sonst immer die Mülleimer standen, lagen zwei große Hundehaufen und die stanken bei diesen Temperaturen ganz erheblich, sodass wir auf eine andere Bank umziehen mussten, um unsere Süßigkeiten zu vernaschen. 

Dem Herbst wird im Wachstum der Pflanzen nur eine untergeordnete Rolle zugewiesen, dabei ist gerade in dieser Jahreszeit so viel zu beobachten. Mit herabfallenden Blättern und vor der Vorbereitung der neuen Wachstumssaison machen die Tiere sich winterfest, indem sie sich entweder auf den Winterschlaf vorbereiten oder in den Süden fliegen. 

Abgebaute Mülleimer sind ein gutes Indiz dafür, dass es Winter wird. Die Zeit der warmen Getränke und der heimeligen Gemütlichkeit hat wieder Oberhand. Ist ja auch angenehmer zu wählen, ob die Getränke kalt oder warm sind. Genauso würde man das auch gerne beim Wetter machen, leider geht es da aber schlechter. 

Im Zuge des Verabschiedens des Sommers wanderten auch unsere Sandalen in den hintersten Winkel des Schranks. Wir und sie erwarteten den nächsten Sommer. 

Kowalski lebt

Der Spiegel 

Juhu! Endlich können wir als Fußgänger sicher über den Fußweg vor unserem Haus stolzieren. Die Stadt hat den Spiegel genehmigt, sogleich – also Monate später – mit dessen Anbringung begonnen. Jetzt konnte ich mich mit Funkgerät bewaffnet auf die Lauer legen und zusammen mit Herrn Müller gefährliche Radfahrer aus dem Verkehr ziehen, da wir sie ja bereits aus der Ferne entdecken konnten. Viele zeigten sich jedoch immer noch uneinsichtig, wenn ich sie in meiner gewohnt freundlichen Art daraufhin ansprach. Dabei handelte ich doch auch in ihrem Interesse. Wollten sie das nicht sehen? Kein Radfahrer hätte gerne einen Fußgänger aufgegabelt, aber die Einsicht war auch in diesem Fall wie so oft Glücksache. Lotto spielen wollte keiner der von mir angesprochenen Radfahrer. Diesen von mir gemachten Witz verstanden sie nicht. Man muss halt, so merkte ich bald, die Witze stets auf das Niveau der Adressaten anpassen, sonst muss man viel zu oft alleine lachen. 

Den mahnenden Zeigefinger, den ich gegenüber den Radfahrern ob ihrer Fahrweise erheben müsste, spare ich mir jetzt mal. Aber trotzdem geht diese Fahrweise gar nicht mehr. Fußweg und Straße gehören euch nicht alleine! Das haben schon viele geglaubt und wurden eines Besseren belehrt. Fahrt endlich vernünftig, Regeln sind für alle da und nicht nur an Sonntagen! 

Der Spiegel gab außerdem einen hervorragenden Blick für mich aus meinem Küchenfenster in unseren Hauseingang, sodass ich immer sehen konnte, wer vor der Tür stand und klingelte. Ungebetene Besucher konnten so von mir mit Missachtung gestraft werden, die Tür blieb zu! Auch hatte ich so einen guten Überblick über die gesamte Fluktuation in unserem Haus. Man muss halt stets auf der Hut sein, um nicht Opfer von Bösewichten zu werden. Was Bösewichte sind, muss ja jeder für sich entscheiden. Menschen, die Unlauteres mit anderen vorhaben, sind von mir damit vor allem gemeint. Die gute Nase von Waltraut, um Bösewichte erkennen zu können, hat ja nunmal leider nicht jeder. 

Die guten Gerüche der Damenwelt, die von ihr in unserem Treppenhaus hinterlassen wurden, verflogen häufig viel zu schnell, als dass diese Anlass für Fantasien geben könnten. Waltrauts feine Nase brauchte man bei diesen Gerüchen wahrlich nicht. 

Innerhalb des Treppenhauses half der Spiegel weniger, da musste man sich auf sein Gespür verlassen. Ich konnte mich auf mein Gespür und die Nase von Waltraut verlassen. 

Ach, wären doch alle Menschen wie Waltraut! 

Herr Müller sieht die Welt

Brustbeutel 

Brustbeutel sind ja für Schildkröten eher ungeeignet. Die Gefahr ist groß, dass sie sich damit erwürgen. Aber auch Geldgürtel um den Panzer gewickelt ergeben ein Problem. Münzen und Kleingeld kann in ihnen nur in geringer Menge eingefüllt werden. Aber kaum jemand trägt ständig Geldscheine mit sich rum, Schildkröten schonmal gar nicht. Die wenigsten Schildkröten haben Kreditkarten, dabei würden diese für sie am meisten Sinn machen. Nur mit der Unterschrift, die den Kauf bestätigen, haben Schildkröten so ihre Probleme. Im Zeitalter von Online-Banking genügt ja ein digitaler Pfotenabdruck. Bei der Gelegenheit müsste man sich fragen, ob alle vier Pfoten denselben Abdruck haben, ich gehe einfach mal davon aus. 

In Ernestos Fall gab es vor allem das Problem des Schiebens des Einkaufwagens, ferngesteuert gibt es diesen ja noch nicht. Das selbstständige Einkaufen im Supermarkt ging daher nicht. Stattdessen war es von Vorteil, dass er beim Gemüsehändler alles bekam, was er brauchte. Dort konnte er anschreiben lassen und seine Auswahl mündlich Herrn Yilmaz mitteilen. Oft kam er dann völlig vergnügt mit einem prall gefüllten Einkaufskorb nach Hause und wollte kochen. Da er dazu meine Hilfe benötigte, musste ich ihn – sehr zu seinem Bedauern – immer mal wieder vertrösten, weil ich oft genug Arbeit mit nach Hause brachte und noch einiges zu tun hatte. Auch auf dem Amt hat sich inzwischen die Möglichkeit von Home Office im Laufe der Zeit immer weiter ausgebaut. 

Die Möglichkeiten des online Einkaufs waren Ernesto zu anonym und Amazon war seine Sache nicht. Den Weltraumflug eines durchgeknallten Milliardärs wollte er nicht mitfinanzieren. Außerdem hatte er eher Mitgefühl mit den armen Paketboten, insbesondere nachdem er per Drohne den Alltag der Paketboten live sehen konnte. 

Apropos durchgeknallte Milliardäre – die gibt es ja nicht so häufig, also so voll durchgeknallte, größenwahnsinnige… Man könnte sich mal fragen, ob auf dem Mars neuer Ort zum Zerstören gesucht wird. Haltet doch hier alles sauber, rein und friedlich, dann müsstet ihr nicht zum Mars fliegen. Außerdem lauft ihr immer Gefahr, dass ihr die Probleme dorthin mitnehmt und exportiert, statt sie auf der Erde zu lösen. 

Zurück zum Brustbeutel: Ich bevorzuge Portemonnaies, Brustbeutel lassen Menschen eher wie Kleinkinder wirken. Portemonnaies sind aber wiederum für Schildkröten nichts, da diese eher selten über Hosentaschen verfügen. 

Kopfwürmer

Taschenlampe 

Meine Erkrankung soll wie schon erwähnt bei meinen Texten nur eine untergeordnete Rolle spielen, da ich glaube, dass viele Menschen die gleichen Ängste haben wie ich, auch wenn sie nicht erkrankt sind. 

Die Zukunft stellt sich immer wieder als dunkler Raum dar, deren Helligkeit nur vom eigenen Handeln abhängt. Die Helligkeit muss ja nicht immer taghell sein, also lasst uns zu Taschenlampen greifen und uns den Weg ausleuchten! Jeglicher Versuch, den Weg des Lebens zu beschreiten (Pathos, Pathos…hurra!), ist bei genauerer Planung zum Scheitern verurteilt, es sei denn, er ergießt sich in der Feststellung, irgendwann ein Ziel erreicht zu haben. Das soll nicht heißen, dass sämtliche Ziele im Leben überflüssig werden, sondern vielmehr, dass das Leben eine ständige Anpassung an tatsächliche Gegebenheiten erfordert und zwar von jedem, egal ob er erkrankt ist oder nicht. In meinem Fall wäre dies das Leben mit dieser blöden Erkrankung. Meine Taschenlampe ist mein Wille, das Leben trotz der Krankheit nicht im Dunkeln enden zu lassen, sondern diese mithilfe der Taschenlampe so gut es geht auszuleuchten. 

Unwägbarkeiten können so oft rechtzeitig erkannt werden und müssen nicht zwangsläufig zu Sackgassen werden. Das Weiterleuchten zeigt mir, wie der Weg durch die Dunkelheit trotzdem immer weitergeht. Es zeigt mir aber auch, dass links und rechts von dem Taschenlampenlicht Dunkelheit herrscht und der Fokus vor allem durch mein Handeln verändert wird. Was dabei stets schwerfällt, ist die Abhängigkeit von anderen, die nervt mich. Abhängig ist letztlich ja jeder von anderen. Aber in meinem Fall – also wegen der Erkrankung bzw. der Tatsache, dass ich im Rollstuhl sitze und mich nicht mehr selbstständig fortbewegen kann – wird die Abhängigkeit unmittelbarer. 

Gerade deshalb müssen immer genug Batterien für die Taschenlampe vorhanden sein, alles, was dazu beiträgt, das Licht leuchten zu lassen oder sogar heller leuchten zu lassen. Die Batterien können individuell verschieden sein. Dies können zum Beispiel sein: der Besuch eines Konzerts der Lieblingsband, der Überraschungsbesuch von lange nicht mehr gesehenen Menschen, Freunde oder – das Wichtigste – die Familie. 

Letztlich ist man immer selber dafür zuständig, so blöd sich das anhört, dass die Batterien nie leer werden. Also lasst uns die Taschenlampe stets dazu benutzen, den Weg hell erstrahlen zu lassen. 

Herr Müller sieht die Welt

Kowalski ihm sein Anglizismus 

Ernesto und ich waren wieder mal mit der Treppenhaus-Reinigung unseres Mietshauses dran. Natürlich ließ es sich Kowalski nicht nehmen, unsere Arbeit zu prüfen und fragte mich bei dieser Gelegenheit, ob es einen Unterschied gäbe zwischen me, myself und I. Eher verblüfft über den Sender der Botschaft, antwortete ich ihm, das würde davon abhängen, wie der semantische oder lexikalische Bezug wäre, in dem sie gebraucht werden würden. Man dürfe sie jedenfalls nicht mit Homonymen oder Homophonen verwechseln, die zwar in ihrer Bedeutung gleich wären, aber in ihrem Klang oder Schriftbild unterschiedlich wären. Befriedigt mit dem Gehörten zog Kowalski von dannen und ging in seine Wohnung. 

Völlig überraschend drehte er sich noch einmal in seiner Wohnungstür um und lud Ernesto und mich zu Kaffee und Kuchen zu sich am Nachmittag ein. Gegen 15 Uhr klingelten wir daher bei Kowalski und wurden von lauter Musik empfangen. Kowalski hatte zum Nachmittagskaffee auch seine Tanzkapelle eingeladen, mit der er gelegentlich zu Hochzeiten und anderen Feiereien zum Tanz lud. Erwartungsschwanger sah Kowalski uns an und erwartete wohl, dass wir uns zum Gehörten äußerten. Als das dann ausblieb, verfinsterte sich seine Miene. Um schnell zum eigentlichen Anlass des Besuchs – zu Kaffee und Kuchen – überzugehen, äußerte ich mich sehr positiv über die Gestaltung seiner Wohnung und Kowalskis Laune war etwas besänftigter. Ganz nebenbei: Die Musik war scheiße, fand ich, aber das ist ja meine persönliche Meinung. 

Das Problem mit Herrn Kowalskis Anglizismen stellte sich erneut, weil er mir jetzt ein Gerät präsentierte, was die Aufschrift (Achtung: Deutsch ausgesprochen!) „Made in Japan“ trug. Er wusste beim besten Willen nicht, was Made hier zu bedeuten hatte, gab sich dann aber mit meiner Erklärung überzeugt zufrieden. Damit war das Problem mit Kowalskis Anglizismen zufriedenstellend gelöst und wir konnten uns jetzt endlich Kaffee und Kuchen widmen. 

Die Verwendung englischsprachiger Begriffe in unserer Sprache klingt zwar neudeutsch oder cool, ist aber für die Kowalskis oder älteren Menschen unserer Gesellschaft irreführend oder missverständlich. Man spricht ja in diesem Zusammenhang gerne von der McDonaldisierung der deutschen Sprache. Stellt sich dann nur die Frage, was für den Benutzer der Big Mac und was der Royal ist. Die Individualisierung der Sprache sollte einem Jeden bewusst sein, auch wenn jede Generation einen bestimmten Duktus in der Sprache hat und bestimmte Begriffe benutzt, um Positives oder Negatives auszudrücken. Aber Anglizismen sollten meiner Meinung nach da bleiben, wo sie hingehören: in den englischsprachigen Ländern dieser Welt. 

Kopfwürmer

Die Klugscheißerei 

Die banale Klugscheißerei wurde von mir zur Profession geadelt. Nicht mehr nur einfach alles besser wissen, sondern jetzt auch mit staatlichem Examen alles besser wissen zu dürfen / müssen. 

Das war zunächst eine schöne Sache, aber je häufiger das Ganze angezweifelt wurde, desto anstrengender wurde es. Nicht wegen der anschließenden Diskussion, sondern wegen der permanenten Unterstellung, es nicht besser zu wissen. Das kann schon sehr nerven! Dabei war doch mein Besserwissen staatlich lizensiert und Schlausein macht leider manchmal ganz schön einsam. Aber nun ja, in der Not frisst der Teufel Fliegen, wie man so schön sagt. Ich entschied mich also, mich doof zu stellen, denn Doofe haben es meiner Beobachtung nach leichter im Leben. 

Das genau wurde auch zu meinem Grundproblem: Etwas zu wissen wird von der Umwelt stets in Frage gestellt. Das macht Wissen oft sehr anstrengend. Nichts zu wissen, macht dagegen nichts, um mal einen alten Sponti-Spruch zu bemühen. Ein anderer wäre ja dann: Wissen ist Macht. Wie sehr Wissen Macht ist, wird mir immer klarer, je mehr mein Wissen angezweifelt wird. Aber auch sich doof stellen , hilft auf Dauer nicht. Doofheit muss irgendwie authentisch sein, sonst wirkt sie unglaubwürdig. 

Schwierig wird`s nur, wenn Doofheit mit Schlauheit verwechselt wird. Man sollte stets darauf achten, dass Aggressionen oder Dominanz kein Zeichen von Intelligenz sind. 

Das Feld der Doofheit wird von vielen Treckern gepflügt. Aber auch hier können viele Köche den Brei verderben. Treckerfahren darf man ja auch schon ab 16 Jahren. Dies könnte einen schon zu dem Hinweis verleiten: Kinder an die Macht. Jedoch, das alte Grönemeyer-Album „Sprünge“ greift nach meinem Dafürhalten zu weit, weil ich glaube, dass Kinder noch nicht weit genug sind, diese Macht auszufüllen. Ihre Naivität hilft nur im ersten Moment, gemischt mit Erwachsenenverhalten kann daraus eine brisante Mischung werden. Auch hier stellt sich das Problem, dass Kindern oft Eigenschaften zugeschrieben werden (meist von den Eltern), die über die eigentlichen Fähigkeiten hinausgehen. 

Fazit: 16 jährige Treckerfahrer können zur Gefahr für den Straßenverkehr werden, wenn auf dem Feld der Dummheit gepflügt wird. Das gilt natürlich nicht für staatlich lizensierte Klugscheißer. 

Herr Müller sieht die Welt

Händy 

Die Zahl der Telefonzellen nahm rapide ab in den letzten Jahren. Das fiel auch Ernesto auf und er fragte, wie das denn zu erklären sei. Er vermutete, dass entweder alle jetzt eigene Telefonzellen hätten oder – was wahrscheinlicher war – alle jetzt vor allem mit ihren Handys telefonierten. Wie zur Bestätigung zeigte er mir sein Handy, das ein besonderes Foto auf der Oberfläche hatte. Es zeigte nämlich Ernie und ihn im Hinterhof beim gemeinsamen Kaffee und Kuchenessen auf dem Straßenfest. 

Seitdem Ernesto ein eigenes Handy hatte, hing er ständig an selbigem und war für Kommunikation mit mir überhaupt nicht mehr greifbar. Das nervte mich ganz gewaltig! Als dann eines Tages sein Handy ins Klo fiel, war er auf direkte Kommunikation mit mir zurückgeworfen. Ich nutzte die Gelegenheit, um mit ihm mal ein paar Dinge zu vereinbaren. Zum einen nervte mich sehr, dass jegliche Kommunikation nicht mehr stattfand und zum anderen, dass er sich stattdessen mit Ernie am Handy über etwaige Unbill unterhielt. Probleme sind doch aber dazu da, um sie in einem Gespräch direkt mit der betreffenden Person zu lösen und nicht mit Dritten über die betreffende Person in digitalen Medien abzuwettern. 

Der eigentliche Sinn von Telefonen wird durch die neue Art der Kommunikation mit den Handys ad absurdum geführt. Die Kommunikation, um deretwegen man ja eigentlich telefoniert, steht nicht mehr im Mittelpunkt des Telefonierens, also der Benutzung des Telefons. Vielmehr sind die anderen Funktionen des Telefons in den Mittelpunkt der Benutzung gerutscht. Das Telefon wird zum Statussymbol, weil es im besten kantschen Sinne nicht mehr Mittel zum Zweck ist, sondern Selbstzweck. 

Ernesto benutzte sein Handy vor allem als Fotoalbum und eine Vielzahl von Fotos zeigten ihn und Ernie in diversen Lebenssituationen, wobei er größten Wert darauf legte, stets gut getroffen zu sein. Wie Ernie aussah, war ihm relativ egal. 

Wir vereinbarten daraufhin, dass Ernesto jetzt wieder für eine direkte Kommunikation mit mir zur Verfügung stand. Ernesto musste sich an diesen Gedanken erst einmal wieder gewöhnen, fand das aber letztlich doch besser als über ein Medium mit mir zu sprechen. 

Die direkte Kommunikation zwischen zwei Menschen eröffnet beiden ungeahnte Möglichkeiten! Probieren Sie es mal aus, es lohnt sich meistens! Wenn nicht, sagen Sie mir bitte Bescheid.