Realität vs. Wunschdenken

Ich habe MS. Fakt. Soviel zum Thema Realität. Wie sich das Ganze aber ausgestaltet, ist mir überlassen. Mein Wunschdenken wäre dann also dahingehend von Belang, wie ich mit der Krankheit umgehe, also der Versuch, mit der Krankheit so normal wie möglich zu leben. Das verlangt natürlich auch eine Umwelt, die das freundlicherweise mitträgt. 

Zum Zeitpunkt der Diagnose 2008 war ich am Beginn einer langen Reise, wusste nur noch nicht, ob diese Reise ein Ziel hat oder der Weg das Ziel war. Ich verstand den Sinn meiner Reise zunächst gar nicht. Vielleicht musste ich es aber auch nicht verstehen, sondern lernen, Dinge hinzunehmen. 

Das Verhalten von Mitmenschen wie auch Krankenkassen ist sehr gewöhnungsbedürftig, dabei bin ich dummerweise derjenige, der krank ist. Vielleicht muss man auch als Erkrankter viel Geduld mit seiner Umwelt haben, aber das wusste ich zu Beginn nicht. Ich war und bin nach wie vor, ziemlich überfordert mit dem Umgang mit der Erkrankung, auch wenn es oft nicht so aussieht. Es beruhigt mich nur, wenn Ärzte einem bestätigen und andere am Hirn Erkrankten (also Epileptiker zum Beispiel), dass die Diagnose nicht gleichzeitig ein Todesurteil ist und somit die Hoffnung bleibt, 100 zu werden. 

Ich merke gerade, dass ich bereits zu Beginn meiner Krankheit solche Zeilen verfasst habe. Das ist vielleicht Ausdruck der Hilflosigkeit. Das ist zum einen eine gute Ausrede, zum anderen verdammte Realität, weil ich wirklich noch nicht weiß, wie der Weg beschritten wird. Sandalen wären für den Weg eher unangebracht, Turnschuhe gehen aber auch schlecht, da ich gar nicht mehr laufen kann. In meinem Fall wären das also Slicks für den Rolli . 

Wenn man so vor sich hin erkrankt, denkt man zwangsläufig, dass alle Welt doch wissen müsste, wie es einem geht. Es wäre schön, wenn es so wäre. Leider ist dem aber so nicht, sondern vielmehr muss man sich täglich neu motivieren, um den Weg weiterzugehen, ob nun im Rolli oder in Turnschuhen und immer wieder merken, dass man die Krankheit alleine hat. Stets versucht man zwar, sie mit anderen zu teilen, aber muss immer wieder feststellen, dass die Umwelt genauso überfordert ist, wie man selber. Das doofe an der Erkrankung ist, dass es kein Medikament gibt, das 

alles wieder gut macht und das nervt ganz gewaltig. Man muss sich also Meilensteine / Fixpunkte auf seinem Weg suchen, zum Beispiel eine Frau oder ein Kind oder wie in meinem Fall am besten beides. Ne, ne, ne, das soll keine Schmunzette über mich werden . 

Ich lebe nach wie vor gerne, wenn mir die Krankheit dabei auch unnötiger Weise auf den Keks geht. Das soll kein infantiler Umgang mit der Erkrankung sein, sondern ein steter Versuch, dem Leben etwas abzugewinnen. 

Nach den vorangegangenen Zeilen, die, wie ich finde, sehr treffend formuliert sind, bleibt mir nur zu sagen, dass ich auf der Suche bin nach der Quintessenz des Lebens. Vielleicht ist ein kindlicher Umgang mit der Erkrankung hilfreich. Kindlich soll nicht heißen naiv, sondern unvoreingenommen, ohne zu wissen, wie der Verlauf ist und ohne mich detailliert damit auseinanderzusetzen, was bei mir eher noch mehr Ängste schüren würde. 

Ich bin behindert? Ja, aber das bezieht sich nur auf das körperliche. Ich bin geistig noch fit, aber es ist immer wieder lustig, wie die Umwelt einen behandelt, nämlich als ob ich geistig behindert wäre. Vielleicht kann ich das der Umwelt nicht vorwerfen, aber trotzdem nervt das ganz gewaltig, wenn ich behandelt werde, als sei ich gaga. So sprechen viele Menschen nur mit meiner Frau, obwohl ich anwesend bin und manchmal sogar über mich in meinem Beisein. Auch die Behandlung als Dreijähriger ist nicht gerade zielführend und angeschrien zu werden amüsiert mich zwar, aber bringt leider nichts . Ob aus Unsicherheit oder aus anderen Gründen, für mich ist das oft demütigend. Liebe Leute, ich und meiner Einer wollen einfach nur normal behandelt werden . 

Das Doofste ist die mangelnde Selbstständigkeit, die mit der Erkrankung in meinem Fall einhergeht. Oft würde ich gerne etwas tun, ich weiß nicht genau was und mit welchem Ziel, ich weiß nur, dass es sowieso nicht klappt. Selbst kleine Dinge sind dann riesengroße Hürden auf dem Weg zu einer Selbstständigkeit. In solchen Momenten werde ich dann leider (nur) manchmal ungerecht zu meinem Sohn oder meiner Frau. Das tut mir sehr leid! Dies soll keine Entschuldigung sein, aber eine Erklärung für mein Verhalten. Ich liebe euch sehr! 

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