Zeitung
Jeden Morgen saßen wir am Frühstückstisch mit der Zeitung und informierten uns über die Geschehnisse in der Welt.
Dabei hatten wir ein Problem: Immer genau das, was ich lesen wollte, wollte Ernesto auch lesen. Unser Streit kulminierte in dem Wunsch nach dem Sportteil. Erst mit der Umstellung auf ein E-Paper konnte das Problem gelöst werden. Jeder von uns konnte so jederzeit das lesen, was er wollte. Anstrengend war nur, dass Ernesto mir permanent erzählen wollte, was er gerade gelesen hatte, sodass ich in meinem Lesen immer gestört wurde. Aber im Laufe der Zeit hatten wir das Problem dahingehend gelöst, dass wir zunächst beide die Zeitung lasen und uns anschließend über das Gelesene unterhielten. Die Todes- und Kleinanzeigen waren für uns beide von Interesse, wobei Ernesto eher die Kleinanzeigen interessierten und mich die Todesanzeigen, um zu wissen, wer gestorben war.
Verwundert über die Geschehnisse auf der Welt unterhielten wir uns also über das Gelesene. Verwundert deswegen, weil es immer wieder erstaunlich war, wie wenig die Menschheit in der Lage ist, ihre Umwelt schön zu gestalten. Kriege an jeder Ecke und die Menschheit wird nicht schlauer daraus, dass Krieg eben keine Lösung für Konflikte ist. Ernesto war über das Verhalten von Menschen immer wieder sehr verwundert, da Schildkröten ihre Konflikte zwar langsamer, aber auch friedlicher lösten. Das Menschsein erfordert oft das Innehalten, von daher sollten sich viele Menschen mal bewusst machen, dass gerade in der Ruhe die Kraft liegt, also sie erst denken, dann handeln sollten, auch wenn Geduld nicht Jedermanns Stärke ist. Ich spreche da aus eigener, leidvoller Erfahrung.
Um das Bild des Menschen zu verbessern – nicht, dass ihr denkt, dass ich nur Negatives denke – sei hier angemerkt, dass es in der Zeitung natürlich auch positive Meldungen gibt. So zum Beispiel auch von Menschen, die anderen uneigennützig helfen. Besonders erwähnenswert sind an dieser Stelle Feuerwehr, Polizei und Rettungskräfte, deren Einsatz leider viel zu selten eine Notiz findet. Gerade Schildkröten können oft ein Lied davon singen, da sie oft genug auf Hilfe anderer angewiesen sind. Zum Beispiel, wenn sie auf dem Rücken liegen oder Türklinken benutzen müssen. Das Problem mit den Türklinken hatten wir in unserer Wohnung fast nicht mehr, da wir sämtliche Türen (bis auf Wohnungs- und Toilettentür) ausgebaut hatten.
Zeitunglesen ist für Menschen und Schildkröten nach wie vor das ideale Medium und die soziale Funktion von Zeitung wird durch die Bereicherung an unserem Frühstückstisch deutlich.