Schweigen 

Nachdem Ernesto und ich den ganzen Tag über geredet hatten wie die Wasserfälle, beschlossen wir, es mal ab 17 Uhr bis zum Frühstück mit Schweigen zu probieren. Das soll ja beruhigende Wirkung haben. Auch die Frage, ob man intervall-schweigen kann – ähnlich wie intervall-fasten – ob man also die Zahl seiner abgegebenen Worte reduzieren könnte, in der Hoffnung, dass es irgendeine Wirkung für die Qualität der abgegebenen Sprache hat, war für uns von Interesse. Dabei spielte der Zeitpunkt weniger eine Rolle, als mehr die Tatsache, dass in dieser Zeit dann eben geschwiegen wurde. 

Nachdem wir das mehrere Tage probiert hatten, merkten wir, dass uns das durchaus guttat und die Qualität unserer Gespräche durchaus besser wurde. So fragte mich Ernesto beim Kaffee nach der Sinnhaftigkeit des Seins. Diese Frage konnte ich auf die Schnelle leider nicht beantworten. Da ich sie aber durchaus für nachdenkenswert hielt, speicherte ich sie in meinem Großhirn ab. Bei einem der nächsten Male würden wir bestimmt darüber sprechen können. 

Das nächste Mal kam schneller als erwartet. Ich konnte ihm nur sagen: Das Sein ist in seiner Existenz als Mensch oder Schildkröte begründet. Die Frage kann also beruhigt beantwortet werden mit: Ich denke, also bin ich. Für Ernesto war die Frage allerdings immer noch nicht nachhaltig geklärt. Ich denke, er erhoffte sich von mir eine Antwort, die ihm nur eine Religion geben kann, aber allgemein war ich bei solch philosophisch-religiösen Fragen überfordert. 

Die Frage nach anderen bedenkenswerten Themen war schnell gestillt. Zum Beispiel, ob Tier oder Mensch die Welt beherrschen sollten. Angesichts der derzeitigen Umweltdiskussion sollte man meinen, dass die Welt in Tierhänden besser aufgehoben wäre. Doch der Mensch als Krone der Schöpfung sollte endlich mal seine Rolle einnehmen, als selbige verantwortungsvoll zu agieren. Ernesto schloss sich meiner Meinung an, meinte jedoch, dass Schildkröten die Welt beherrschen sollten, weil sie nämlich auf/in zwei Elementen lebten – auf der Erde und im Wasser. 

Unsere tiefgreifenden Gespräche waren relativ schnell von der Banalität des Alltags überholt. Die Frage nach dem jetzt passenden Abendbrot war noch zu klären. Das herkömmliche Abendbrot mit Tomate und Salat schien uns für heute nicht mehr angemessen zu sein, da wir eine sehr existentielle Frage besprochen hatten. Also durfte es heute mal ein philosophisches Dönergericht sein. Morgen sollte es aber wieder Tomate und Salat geben, weil uns das nach wie vor sehr gut schmeckte. 

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