Mein Name ist Müller,

ich bin 55 Jahre, arbeite in Kiel beim Katasteramt. Viele denken, das ist genauso spannend wie `ne Zwangsheirat, aber da täuscht man sich schnell. Natürlich wiehert der Amtsschimmel bei uns auch laut, aber wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, ist es gar nicht mehr so schlimm. 

Ich bin – wie gesagt – 55 Jahre und arbeite beim Katasteramt in Kiel. 

Ich wohne in einer 2-Zimmer Wohnung im Dachgeschoss eines Altbaus. Mein bester Freund ist meine Schildkröte Ernesto. An Freitagen, wenn Markt ist bei uns und ich frische Tomaten mitbringen kann, dann machen es sich Ernesto und ich in der Küche gemütlich und ich schneide für uns Tomate auf. Ernesto ist mir vor 5 Jahren zugelaufen. Es war ein Sonntagmorgen und ich fand Ernesto völlig ausgehungert vor mir auf dem Bürgersteig. Letzten Freitag mochte Ernesto sein Salatblatt und seine Tomate gar nicht mehr. Ich habe natürlich sofort den Verdacht gehabt, dass er wohl irgendwie erkrankt sein müsste. Aber schon am nächsten Tag aß er sie wie eh und je. Da hab` ich mir schon ganz schön Sorgen gemacht um Ernesto und darum, wie es bloß wäre, sollte Ernesto nicht mehr da sein. 

Wie gesagt, ich bin 55 Jahre und arbeite beim Katasteramt. 

Die Arbeit im Katasteramt ist leider manchmal ganz schön eintönig. Manchmal ist diese Eintönigkeit ganz erholsam, kann aber auch leicht sehr anstrengend werden. Nun denkt sich der Normalsterbliche, dass die Arbeit eines Katasteramts doch eigentlich nur aus Zahlenkolonnen und Vermessungen besteht. Aber dem ist überhaupt nicht so. Oft genug müssen wir zwischenmenschliche Probleme innerhalb unseres Büros klären. 

Wie Frau Meier zum Beispiel den Joghurt neulich von Herrn Maler gegessen hat; dann kann das schon für Zoff auf dem Amt sorgen. Oft genug werde ich dann zur Lösung solcher Konflikte hinzugezogen. 

Wenn ich davon abends Ernesto erzähle, kann dieser darüber nur den Kopf schütteln und bestätigt mir mein Vorgehen. Das Leben als Schildkröte muss so einfach sein. Das menschliche Dasein birgt eine Vielzahl von vermeintlichen und tatsächlichen Konflikten, deren Relevanz man erst im Nachhinein begreift. Hätte Frau Meier nicht den Joghurt von Herrn Maler gegessen, so hätte es vermutlich den Kontakt zwischen Frau Meier und Herrn Maler gar nicht gegeben. So aber wird der Konflikt durch den mittelbaren Kontakt am Kühlschrank offensichtlich. Hätte Frau Meier sich nicht widerrechtlich den Joghurt von Herrn Maler einverleibt, hätten die beiden nie voneinander gewusst und Herr Maler hätte nie das Büro B 105 von Frau Meier betreten, um dort mal einen Kaffee zu trinken und von seinem Leben zu erzählen. 

Herr Maler ist nämlich in seiner Freizeit in den Wüsten dieser Welt unterwegs und war schon in Regionen, von denen Frau Meier noch nie gehört hat. Nie hätte sie vermutet, dass eine der größten Wüsten in einem Teil von China liegt. Dorthin zu reisen, ist ihr größter Traum. Gerne möchte sie mal an die Chinesische Mauer und selber riechen, ob der Klebreis, mit dessen Hilfe die Mauer gebaut wurde, nicht langsam streng riecht. Sie macht in ihrer Freizeit gerne Aerobic. Das interessiert Herrn Maler zwar nur begrenzt, aber allein die Vorstellung von Frau Meier im Aerobic-Kostüm sorgt bei ihm für eine schlagartige Verbesserung der 

Laune. Er verspricht, sich einmal mit ihr ein Aerobic-Video von ihrer großen Heldin Jane Fonda anzuschauen. Peter Fonda, der Vater von Jane Fonda, war berühmter Westernheld. Von daher, dachte Herr Maler, müssten die Filme mit Jane Fonda ja gut sein. So kann man sich irren, wurde Herr Maler von der Realität belehrt. Beide sprachen sie nie wieder von dem Abend mit Jane Fonda und Herr Maler kam auch nie wieder auf ein Käffchen in B 105. Kein Mensch kann mehr behaupten, dass das Leben in deutschen Büros nicht durchaus seine Spannungen hat. 

Hoffentlich ist bald wieder Freitag. 

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