Heute Herr Müller sieht die Welt

Heute

Heute ist das Gestern von morgen. 

Völlig ergriffen von so viel Eloquenz lehnte ich mich zurück und Ernesto tippte sich an den Kopf ob meiner Ergriffenheit. Zeit ist für Schildkröten eher relativ, für Menschen eher minutiös. Das Vergehen von Zeit spielt für Menschen eine größere Rolle als für Schildkröten. Letztere denken eher in Zeiträumen und Menschen planen ihren Tag in Minuten und Stunden. Das genau macht den Menschen ihr Leben häufig schwer. 

Gestern war der Blick in die Vergangenheit, morgen ist der Blick in die Zukunft. Da ich weder als ewig Gestriger noch als Spökenkieker gelten mochte, beschäftigte mich die Gegenwart eben stärker als das, was war oder das, was kommen sollte. Ernesto war im Gegensatz zu Kassiopeia (aus Michael Endes Momo) nicht mit zusätzlichen Gadgets ausgerüstet. Das einzig Gemeinsame von Kassiopeia und Ernesto war lediglich die Tatsache, dass beide Schildkröten waren. 

Ernesto war eher im Hier und Jetzt verortet. Das machte ihn umso liebenswerter. Dies äußerte sich beispielsweise in seiner Vorliebe für Butterkekse. Diese aß er lieber heute als morgen. Die von gestern waren alt und labbrig, die von morgen kannte er noch nicht. Da morgen die unbekannte Größe war, konnten er und ich uns nur mit dem Heute beschäftigen, zumal Butterkekse ja heute knusprig waren. Ob sie morgen noch knusprig sein würden, wussten wir ja nicht, da keiner von uns wusste, was morgen passieren wird. Im Bewusstsein, dass sie heute sehr genießbar waren, machten wir uns daran und überlegten, was heute von uns noch zu erledigen sein würde. 

Es stand mal wieder ein Großreinemachen an. Ernesto stürzte sich voller Begeisterung auf die Schwämme und sah sie als Spielkameraden an. Mein Kommentar, dass diese aber für die Reinigung des Bades vorgesehen waren, ließ ihn schnell zurückschrecken. Ich ging also daran und verteilte Reinigungsmittel auf die Spülschwämme, die dann von Ernesto über den Badezimmerboden geschoben wurden. Besonderen Wert legte Ernesto auf die Reinigung der Fugen. Die Reinigung des WCs überließ er freundlicherweise mir, zumal die Bedienung der Klobürste für ihn schwer zu erledigen war. Besonders großen Spaß machte ihm die Reinigung der Badewanne, weil er sich dann immer mitsamt des Schwammes in die Badewanne rutschen ließ. Nachdem unser Bad wieder blitzte und blinkte, machten Ernesto und ich erstmal eine Kaffeepause am Küchentisch. Bei Butterkeksen und Kaffee vergaßen wir alles um uns herum und erwarteten unsere nächsten Abenteuer. 

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