Kowalski lebt

Bauchfleisch 

Auf unseren Wegen durch den Kiez landeten wir wieder mal bei unserem Metzger. Nach 3 ½ Wochen mussten wir ohnehin dort mal wieder vorbeischauen. Waltraut fragte natürlich sofort nach ihrer Lieblingsspeise Bauchfleisch. Das gab`s jetzt in vier Varianten: zunächst einmal baasik, dann hott/schpeicy (immer dieses neudeutsch, das macht mir immer Probleme), mit Avocado und auch als tropikal-Variante für besonders lustige Gemüter. Waltraut wollte mal die tropikal-Variante probieren, dies schien ihr noch am ehesten entgegen zu kommen, nicht zu scharf, aber würzig und mit einem Hauch fruchtigem Abenteuer. Waltraut war somit als Empfänger von einfachen Mortadella-Scheiben ausgeschieden. Für sie durfte es etwas mehr sein. 

Gerade im Sommer mussten wir dann jedes Mal den Grill anwerfen, wenn Waltraut Lust auf Bauchfleisch hatte. Im Winter konnte das ja auch gut in der Pfanne zubereitet werden, aber im Sommer durfte es nur der Grill sein. Zum Anwerfen des Grills gingen wir in unseren Innenhof, was dann immer ein Nachbarschaftsfest nach sich zog, weil alle Nachbarn des Hauses dazu kamen. Das Nachbarschaftsfest war zu fortgeschrittener Stunde für Hunde und Kinder unlustig, weil sich dort vor allem sinnlos betrunken wurde. 

Im Zuge eines dieser sinnlosen Besäufnisse eskalierte ein zunächst harmlos wirkender Streit zu einem Handgemenge, in dessen Folge in den nächsten Wochen keine Hoffeste mehr stattfanden. Der Grund des Handgemenges war im Eifer des Gefechts verloren gegangen, aber ich glaube, es ging um Dauerwellen oder die Bepflanzung der Blumenkästen, jedenfalls etwas Bedeutsames, ich komme nur gerade eben nicht mehr darauf. Na jedenfalls fand erst nach sieben Wochen wieder ein Hoffest statt, weil sich doch alle Beteiligten lieber an die schönen Hoffeste erinnerten als an diesen doofen Streit. Das Miteinander von Streit und Hoffesten muss wohl erst gelernt werden, also eigentlich: Streiten für Jedermann oder anders: Streiten will gelernt sein. 

Waltraut und ich zogen es vor, uns mit einem Stück Bauchfleisch neben den Blumenkasten zurückzuziehen. Wir genossen die untergehende Sonne und schwiegen in Frieden. 

Ach wären doch alle Menschen wie Waltraut! 

Kowalski lebt

Wiener Würstchen

Unser ortsansässiger Metzger wurde von uns ja regelmäßig aufgesucht. Waltraut konnte es immer kaum erwarten dort hinzugehen, weil sie ja entweder ein Wiener Würstchen oder eine Scheibe Cervelatwurst als Leckerli bekam. Warum die Wiener Würstchen Wiener Würstchen hießen, wusste ich noch nicht, da eine erschöpfende Antwort bisher Mangelware war. Man könnte denken, dass es vielleicht mit den Türken vor Wien zu tun haben könnte, aßen diese doch kein Schweinefleisch. Aber das wäre wohl ein bisschen zu viel von mir um die Ecke gedacht.

Auch die Tatsache, dass Wiener Würstchen in Wien Frankfurter heißen, hilft nicht weiter, sondern deutet eher auf den vermeintlichen Erfinder dieser Wurst hin, der Anfang des 19. Jahrhunderts von Frankfurt nach Wien kam. Dort waren seine Metzgerkünste heiß begehrt.

Verwirrende Namensgebungen, weil der eigentliche Ort der Erfindung nicht belegt ist, sondern nur vermutet werden kann, gibt es ja im Bäckerei- und Fleischerei-Handwerk häufiger. Erinnert sei hier nur mal an den Frankfurter Kranz, Dresdner Stollen, die Kieler Sprotten oder nicht zu vergessen die Braunschweiger Mettwurst. Ob die Namensgebung ihren Ursprung tatsächlich in den jeweiligen Städten hatte, kann nicht endgültig behauptet werden. Dennoch ist der Zusammenhang von Lebensmittel und Stadt auffällig. Man könnte dann weitergehend nochmal fragen, ob die Stadt und das Lebensmittel bzw. dessen Schmackhaftigkeit miteinander zu tun haben. Zumindest beim Dresdner Stollen könnte man zwischen 49 und 89 hellhörig werden. Die Versorgung mit Rohstoffen zum Backen scheint in dieser Zeit von Mangelwirtschaft geprägt zu sein.

Dackel gab es in der DDR, zumindest dem Hörensagen nach, auch weniger. Zu der Formulierung, dass Dackel systemstützend waren, kann man demnach nichts sagen. Wahre Freigeister unter den Hunderassen sind dann eher die Bobtails oder ähnliche Zottelhunde, die mit ihrem anarchistischen Äußeren sicherlich zum Sturz des Systems beitrugen. Andererseits hat man Bobtails seltener auf den Montagsdemos gesehen. Aber da gab es ja eh keine Hunde. Ihrer Berufung als Hüte- und Wachhund kamen Bobtails zwangsläufig nur bedingt nach. Mehr gefragt waren hier Schäferhunde. Der Hund als reiner Befehlsempfänger war hier gefragt, ist aber meine Sache nicht.

Ach, wären doch alle Hunde wie Waltraut.

Kowalski lebt

Nordpol – Südpol

Nach dem letzten Sommer, der uns glauben ließ, wir würden demnächst in einer Wüste leben, kamen endlich der Herbst und Winter mit kühleren Temperaturen.

In den Sommermonaten hätte ich mir beinahe die Zunge abgebissen bei dem Versuch, die Zunge zur Kühlung des Körpers, wie Hunde dies tun, einzusetzen, indem sie die Zunge heraushängen ließen. Wenn Waltraut das macht, kann das ja nicht so schlecht sein, so dachte ich. Für Menschen war diese Idee aber doof. Zum einen sah das bekloppt aus, zum anderen lief man Gefahr, sich eben auf selbige zu beißen, wie in meinem Fall geschehen. Da waren uns die Herbst- und Wintermonate schon lieber.

Gegen die Kälte konnte man sich angemessen schützen. Auch als Hund konnte man zum Beispiel Ohrenwärmer aufsetzen, um die Schlappohren zu wärmen und ein Mäntelchen umschnallen lassen, um den Körper zu wärmen. Waltraut trug einen aparten Mantel in rosa, der von mir um ihren Körper geschnallt wurde. Natürlich wurden ihre Schlappohren auch durch rosa Ohrenwärmer geschützt. Damit waren wir zumindest schonmal gegen die Kälte geschützt und außerdem völlig up-to-date.

In rosa gehüllt ging Waltraut vor die Tür und sorgte für lautstarke Freudenrufe. Neben freudigen Pfiffen der Fans sorgten ihre Ohrenwärmer und ihr Mäntelchen für Gefühlsausbrüche jeglicher Art. Der Begriff Wurst in Pelle bekam jetzt konkrete Anschaulichkeit. Ich konnte mich nur nicht entscheiden, ob Waltraut eine Leberwurst, eine Teewurst oder Anderweitiges sein sollte. Letztlich war es ja auch wurst, welche Art der Wurst sie war. Weder am Nordpol noch am Südpol wurden Würste gegessen. Auch Dackel waren dort eher selten gesehen. Dass die Kälte nun so drastisch in unser Leben trat, war nun auch nicht unser Wunsch, aber egal. Lieber zu kalt als zu warm. Die warmen Gedanken, die wir uns machten, ließ die Kälte vergessen.

Waltraut machte mit den rosa Ohrenwärmern und dem rosa Mäntelchen vor, dass es leichter war, sich gegen Kälte zu schützen als gegen Hitze. Denn wie man sich vor Hitze schützt, ist mir nach wie vor ein Rätsel. Kreuzworträtsel waren ja die von mir bevorzugten Rätsel. Was das mit Eiswüsten zu tun hat, weiß ich auch noch nicht so genau. Aber bloß weil ich verwirrt bin, muss das ja nicht für alle gelten.

Ach wären doch alle Menschen wie Waltraut!

Kowalski lebt

Rollbrett für Waltraut 

Um mit Waltraut längere Spaziergänge unternehmen zu können, hatten wir jetzt die Idee, ein Rollbrett unter ihren Bauch zu schieben, weil dieser in letzter Zeit doch stark durchhing und auf dem Boden schliff. Völlig überraschend ging Waltraut aber dazu über, sich auf das Rollbrett zu stellen und sich von mir ziehen zu lassen. Das war natürlich nicht im Sinne des Erfinders. Es bedurfte einige Erklärung, damit Waltraut das Rollbrett als das annahm, was es sein sollte: nämlich als kleine Unterstützung bzw. Hilfe, denn nicht zuletzt sollte damit ihre Fitness und Selbstständigkeit gefördert werden. 

Relativ schnell merkten wir jedoch, dass Bordsteine und Treppen ein schier unüberwindbares Hindernis für uns waren. Auch die Art des Fußweges konnte von Waltraut beurteilt werden. Kopfsteinpflaster, so merkte sie, war einfach nur die Hölle: zwar optisch schön, jedoch völlig unpraktisch. Nur Fußgänger wussten nicht um die Tücken von Kopfsteinpflaster. Erst mit der Erfahrung als Rollbrettfahrer konnte Waltraut die Wertigkeit von Pflasterungen beurteilen. Zur Bewältigung so mancher Pflasterung sind lange Beine von Vorteil, die sie aufgrund ihrer Rasse nicht hatte. Kurze Beine und Kopfsteinpflaster schließen sich gegenseitig aus. Am liebsten waren ihr glatte Betonböden oder asphaltierte Straßen, da konnte sie völlig entspannt ihre Fitness trainieren, ohne ständig von dem Rollbrett in den Bauch gebufft zu werden. 

Blieb noch das Problem der nicht vorhandenen Bremsen. Abhänge konnten so zu Schluchten der Todesgefahr werden. Ihr Turnschuhe anzuziehen, damit sie bremsen konnte, war auch keine Option. Also musste das Rollbrett von mir mit einer zusätzlichen Leine gehalten werden. Waltrauts Unabhängigkeit war so natürlich nicht gesteigert, erst mit dem Einbau einer Bremse, die sie selbstständig betätigen konnte durch Kopfnicken, konnte das Problem gelöst werden. Das sah zwar etwas dämlich aus, weil sie so dem Wackeldackel relativ ähnlich war, aber egal: Wer heilt, hat Recht. 

Natürlich kamen doofe Kommentare von Menschen. Die Krönung war dann ein dicker Mann, der sich über Waltrauts Rollbrett lustig machte. Da war der Bock fett. Die Vorstellung des dicken Mannes auf einem Rollbrett tröstete mich. Mein Kommentar über Glashäuser (wer im Glashaus sitzt, sollte keine Steine schmeißen) hat er nicht verstanden. 

Ach wären doch alle Menschen wie Waltraut! 

Kowalski lebt

Viertel Hack gemischt 

Es war wieder einmal Mittwoch. Waltraut und ich gingen zur Metzgerei unseres Vertrauens. Waltraut mehr, um wieder eine Scheibe Fleischwurst abzugreifen, denn Hunde bekamen diese als kleines Leckerli, das Herrchen – also ich – musste hingegen etwas Reelles kaufen. Also nahm ich eine kleine Schale Fleischsalat, denn dieser schmeckte mir außerordentlich gut. Bei dieser Gelegenheit wollte Waltraut ein Viertel Pfund Gehacktes haben, denn sie liebte Brötchen mit Mett. Gehacktes gab es natürlich bei unserem Metzger mannigfaltig, aber Waltraut bevorzugte „gemischt“. Da wir nur fünf Brötchen gekauft hatten, brauchte ich nicht ganz so viel, aber unser Abendbrot war schonmal gesichert. 

Waltraut hatte mehrfach versucht, als Vegetarierin bzw. Veganerin durchzukommen, aber sie sagte schließlich, dass sie als Raubtier nicht auf Fleisch verzichten könne. Die Wahl zu haben, wäre nur mir vorbehalten. Mett gehöre auf jedes Brötchen, so ihre Ansicht. Meine Sache war Mett nicht so. Da ich ihr aber nicht den Spaß verderben wollte, ließ ich sie gewähren. Für mich kam Mett nur in gebratener Form zum Beispiel in Soßen oder Ähnlichem in Frage. 

Die Brötchen, die wir abends zur Begrüßung der Abendstunde aßen, aß ich also mit Cornichons und dem von mir gekauften Fleischsalat. Waltraut beschränkte sich wie gesagt auf Brötchen mit Mett. Dankenswerter Weise verzichtete sie auf Zwiebeln. Zum einen war so ihr Atem besser, zum anderen musste sie nicht ständig pupen – jeder Hundebesitzer weiß, wovon ich rede. 

Nachdem unsere Mägen gut gefüllt waren, gingen wir zum behaglichen Teil des Abends über. Wir schauten unsere Lieblingsepisode von Lassie und futterten dazu kleine Mini-Salamis. Die Mini-Salamis waren von uns hoch geschätzt, obwohl sie unter dem Verdacht standen, Pferdefleisch zu enthalten. Das wurde aber von Waltraut gekonnt wegignoriert, indem sie mich auf den von mir so hoch geschätzten Fleischsalat ansprach. Ich konnte natürlich nicht anders, als dieses Meisterwerk der Handwerkskunst über alle Maßen zu loben. Wo waren wir stehen geblieben? … Zack, und wieder einmal hatte Waltrauts Ablenkung funktioniert. Ich hatte schon völlig vergessen, worum es nun eigentlich ging. Ach ja, Mini-Salamis könnten Pferdefleisch enthalten, aber egal. Man muss nicht immer alles wissen. 

Ach wären doch alle Menschen wie Waltraut! 

Kowalski lebt

Blumenkasten 

Nachdem Waltraut beschlossen hatte, ihr kleines Geschäft doch nur noch im Stehen zu verrichten, erschien mir ihr Wunsch nachvollziehbar, die Blumenkästen auf die Innenseite des Balkons zu verlegen, der Fall nach unten war dann nicht ganz so hoch wie außerhalb der Brüstung. Das Verrichten der Notdurft in den Blumenkästen geschah nur im Notfall, wenn der Weg nach unten zu weit und zu beschwerlich erschien. 

Die von mir in den Blumenkästen gepflanzten Bonsai-Bäumchen mussten zwar gelegentlich durch Wasser gefüttert werden, damit sie nicht an Nitrat zugrunde gingen, aber mit genügender Zugabe von klarem Wasser überlebten sie doch problemlos. Dann wirkte sogar Waltrauts Pipi eher wie Dünger, aber eben nur mit ausreichender Verdünnung. 

Doof war jetzt nur, dass Waltraut dabei ihrem Hobby nicht mehr frönen konnte, nämlich andere zu beobachten. Der Ausblick von der Innenseite der Brüstung war nicht ganz so spannend. Von daher beschränkte sich Waltraut alsbald darauf, doch ihr kleines Geschäft meistens wieder vor der Haustür zu verrichten. Das Sehen und Gesehenwerden spielte schon für Hunde und insbesondere für Waltraut eine große Rolle. 

Was so spannend daran sein sollte, andere während des kleinen Geschäfts zu beobachten, wurde mir kürzlich auf spektakuläre Art und Weise vor Augen geführt: Eine Mama kam mit ihrem Kinderwagen vom Bordstein ab, blieb im Rinnstein stecken und der Kinderwagen überschlug sich. Das Kind konnte Gott sei Dank in letzter Sekunde von einem zufällig vorbei laufenden Rentner aufgefangen werden. Auch wenn dieser schon bald unter der Last des Kindes zusammenzubrechen drohte, so blieben Mutter und Kind doch unverletzt und die ganze Aktion ging für alle glimpflich aus. Rentner, Mutter und Kind blieben unversehrt. 

Der von mir abschließend angebotene Kaffee für alle zur Beruhigung fand reißenden Absatz. Im Gegensatz zu den übrigen Umstehenden und Vorbeilaufenden beschränkte sich meine Aktion nicht nur auf das Glotzen und Zücken des Smartphones, sondern durch mein Handeln wurde ich zum aktiven Teil der ganzen Aktion. Waltraut tat ihr bestes, das Kind nach dem Schrecken abzulenken und so auch zum Ersthelfer zu werden. Somit bewies auch Waltraut, dass jeder – ob Mensch, ob Hund – helfen kann. 

Ach wären doch alle Menschen wie Waltraut! 

Kowalski lebt

Briefkästen 

Die Briefkästen der Hausbewohner unseres Mietshauses fristeten ein trostloses Dasein. Diese Mahnmale der schriftlichen Kommunikation verkamen zusehends. Sie verkamen mehr und mehr zur Aufbewahrungsbox für Werbesendungen. Da diese keiner haben wollte, wurden sie achtlos weggeschmissen – häufig genug eben nicht in den von mir dafür vorgesehenen Mülleimer, sondern irgendwo ins Treppenhaus. Das ging natürlich gar nicht! Man hatte schon Probleme beim Erledigen der Hauswoche damit, um die Werbung herumzufegen. 

Ähnlich den Spam-Botschaften in meinem E-Mail Account waren diese ungebetenen Gäste permanent und überall. Die Aufkleber „bitte keine Werbung“ an den Briefkästen wurde konsequent ignoriert. Aber was bringt es, sich darüber aufzuregen. In der Ruhe soll ja die Kraft liegen und kräftig genug bin ich ja. Wenn ich kräftiger werden will, gehe ich in ein Fitnessstudio. 

Ich ging einfach dazu über, die Briefkästen nach innen unseres Hauses zu verlegen, sodass alle, die Werbung oder Ähnliches in die Briefkästen schmeißen wollten, erst einmal ins Treppenhaus gelangen mussten. Viele Hausbewohner beschwerten sich zunächst über meine Maßnahme, waren dann aber doch davon überzeugt, nachdem sie merkten, dass kaum noch Werbung in die Briefkästen geschmissen wurde. Die Aufforderung, keine Werbung einzuwerfen, wurde jetzt so gut wie immer befolgt. Der Postbote verfügte über einen Haustürschlüssel, um den Zugang zu den Briefkästen zu behalten. 

Wenn das Problem mit meinen Spam-Nachrichten doch nur genauso leicht zu beheben wäre! Dazu habe ich von E-Mails und diesem ganzen Kram einfach zu wenig Ahnung. Die Sache mit der Haustür war da erheblich einfacher für einen so analogen Menschen wie ich es bin. Überhaupt analog: Ich mag ja auch gar keine Digitaluhren, die Träger von Digitaluhren waren für mich immer durchgeknallte Typen. Analoge Uhren sind an Vollkommenheit unübertroffen und erfordern vom Träger ein Mindestmaß an Denkfähigkeit. Die Transferleistung, die eine analoge Uhr vom Träger erfordert, kann häufig gar nicht mehr erbracht werden. Die Kinder in unserem Haus sind nicht mehr dazu in der Lage, analoge Uhren abzulesen, wie ich neulich festgestellt habe. Ein Unding! Früher war es selbstverständlich, die analoge Uhr lesen zu können. Das Selberdenken sollte wieder mehr bei den Menschen in den Vordergrund rücken. Die Digitalisierung führt dazu, dass immer weniger Menschen selber denken. 

Ach, wären doch alle Menschen wie Waltraut! 

Kowalski lebt

Bratwurst to go 

Nachdem Waltraut und ich sämtliche Fastfood-Imbisse probiert hatten, derer wir so habhaft werden konnten, beschlossen wir, nachdem uns das Essen nicht geschmeckt hatte (Herr Müller hatte mir außerdem erzählt, dass dieses Essen nicht gut für den Regenwald sei), wieder zur guten, alten Bratwurst zurückzukehren, Fastfood und Regenwald hin oder her. 

Die Bratwurst gab es auf unserem Wochenmarkt. Da waren die Wege für die Produzenten nicht so weit, weil die Bratwurst in der Nähe unseres Wochenmarktes hergestellt wurde. Sehr zur Freude des Besitzers, wurden wir schnell zu Stammkunden an der Imbissbude. Auch Schaschlik und Rippchen fanden unsere Zustimmung. Als Beilage probierten wir wahlweise Pommes oder Salat, waren aber von beidem nicht so angetan, sodass wir alsbald dazu übergingen, den Hauptgang ohne Beilagen zu konsumieren. 

Auch waren wir beide eher stationäre Esser, ambulant war eher nicht so unser Ding. Stationär heißt in diesem Fall, dass wir uns zum Einnehmen der Mahlzeiten stets an einen der Tische setzten und nicht das Essen unterwegs, also ambulant oder `to go`, herunterschlangen. Bei unseren stationären Imbissaufenthalten machten wir Bekanntschaft mit Bewohnern des Hauses von schräg gegenüber unserer Straße. Auch diese besaßen einen Dackel namens Gorbi, der ebenso wie Waltraut sehr gerne Bratwurst ohne Beilagen verspeiste. Aber im Gegensatz zu Waltraut genoss Gorbi seine Bratwurst stets mit Ketchup, wobei er feine Unterschiede machte, ob diese aus dem Pumpspender oder der Aufriss-Tüte kam. 

Der Besitzer der Bratwurstbude als Postillon d`Amour, man könnte ihn auch Tinder vom Wochenmarkt nennen, war sich seiner Rolle als Amor gar nicht so bewusst, aber er war sehr erfreut, als er vom Glück von Waltraut und Gorbi hörte. Gorbis Herrchen war selbstständiger Schmuckhändler, wobei er vor allem Modeschmuck verkaufte. Dieser nicht so hochwertige Schmuck war zwar billig in der Herstellung, aber hübsch anzuschauen. Jegliche Form des Schmuckes waren für Waltraut und mich dennoch überflüssig, da nur die inneren Werte von Mensch und Hund zählten. 

Die wahre Einsicht lag für Waltraut in der Erkenntnis, dass Menschen wie Bratwürste seien: Von außen konnten sie noch so verlockend sein, zählen taten nur die inneren Werte, da man diese schmecken konnte. 

Ach, wären doch alle Menschen wie Waltraut! 

Kowalski lebt

Telefonzelle 

Stunden-, ja, tagelang liefen wir durch die leeren Straßen unserer Stadt. Als plötzlich Waltraut innehielt, mich durchdringend ansah und fragte, ob mir aufgefallen sei, dass es gar keine Telefonzellen mehr gebe. Im Zuge der allgemeinen Diskussion um die Geschlechterzugehörigkeit hatte sie nämlich beschlossen, jetzt immer bei jeder Möglichkeit ihr Bein zu heben, um sich zu erleichtern. Da waren Telefonzellen natürlich gerne genommen, da nur Laternenmasten und Bäume ihr zu wenig waren. 

Nicht nur Telefonzellen sind im Zuge der Zeit verschwunden. Raider heißt jetzt Twix, da musste ich mich erstmal dran gewöhnen, aß ich doch diese Köstlichkeit gern mal zwischendurch. Auch das Kassettendeck in meinem Auto konnte nicht mehr mit neuem Inhalt gefüttert werden. 

Der sehr berühmte Bruder von Waltraut, der Wackeldackel, verschwand sang- und klanglos – war er doch in vielen deutschen Kraftfahrzeugen, so auch auf meiner Hutablage, anzutreffen. Das waren einschneidende Momente des Daseins für mich, erforderten sie doch den Umgang mit einer neuen Situation. Gewohnte Pfade mussten verlassen werden, neue beschritten, was mir zugegeben sehr schwerfiel. Das beruhigende, ja fast schon psychedelische, Nicken des Dackels auf meiner Hutablage konnte jetzt nicht mehr so ohne Weiteres ersetzt werden. Der Wackeldackel hatte seine besten Tage hinter sich, es gab keinen Ersatz mehr. Unser musste also gut gepflegt werden, damit er noch eine Weile durchhielt. Die Hutablage als sein Zuhause sah ja außer Klorollen und ihm nicht viel. 

Auch der von mir für die Hausgemeinschaft eingerichtete Partykeller fristete ein einsames Dasein und wurde als Fahrradkeller missbraucht. Was für herrliche Partys wurden hier früher von der Hausgemeinschaft gefeiert! Zu nahezu jedem Geburtstag, zu allen Feiertagen und zu Karneval wurde diese Räumlichkeit aufgesucht. Heute ist sie leider stark in Vergessenheit geraten. Mein Versuch, diese schöne Räumlichkeit zu reaktivieren, wurde von der Hausgemeinschaft nur teilweise aufgenommen. Meiner Einladung kamen nur wenige Mitbewohner nach. Die Zahl der Gäste war sehr überschaubar. Die Ausreden der anderen gingen von „was anderes vorhaben“ bis „gebrochener Fuß“. Hoffentlich sind andere Renaissancen vergangener Tage erfolgreicher. Schade eigentlich, dass ein Miteinander in der Hausgemeinschaft oft nicht mehr gewollt ist… 

Ach, wären doch alle Menschen wie Waltraut! 

Kowalski lebt

Bohrmaschine 

Waltraut brauchte unbedingt ein Regal zur Unterbringung ihrer angesammelten Habseligkeiten. Um selbiges anbringen zu können, musste ich dann wohl oder übel mit der Bohrmaschine hantieren, da Waltraut nicht bohren konnte. Gesagt, getan, griff ich zur Bohrmaschine, stellte aber schnell fest, dass nicht jeder Elektriker die Leitungen senkrecht verlegte, sondern diese auch schräg in den Putz gelegt wurden. Wie zum Beweis bohrte ich eine Leitung an. Da erinnerte ich mich Gott sei Dank an einen Trick, den mir schon mein Großvater gezeigt hatte: Gekautes Kaugummi in das Bohrloch stopfen, um die Isolation der Leitung wiederherzustellen. Nun konnte die Anbringung des Regals weiter vonstattengehen. Nicht bloß einfache Bücher fanden auf dem Regal von Waltraut Platz, sondern auch jegliche Art von „Stehrumchen“, man könnte auch sagen „Staubfänger“, aber so boshaft war hier ja keiner. 

Das Regal musste also einiges aushalten und stabil in der Wand befestigt sein. Die Bohrlöcher mussten durch starke Dübel fixiert werden, um dies zu gewährleisten. Die Frage nach der Belastbarkeit von Waltrauts Regal war hier eine entscheidende. Es musste also der Nutzerin sowohl für eine vertikale Belastung als auch für eine horizontale genug Sicherheit bieten. Die horizontale Belastung konnte schnell getestet werden, indem wir viele Bücher nebeneinander aufstellten. Das Regal hielt! Schwieriger war das Testen der vertikalen Belastungsfähigkeit. Waltraut schlug vor, die vertikale Zugfähigkeit durch Umlenkrollen auszutesten. Nur damit Sie sich das vorstellen können: Über Umlenkrollen zogen Gewichte nach unten. Ich kann nur sagen: Das Regal bot auch in diesem Fall die nötige Sicherheit. Stolz über unser Tagwerk, belohnten Waltraut und ich uns mit reichlich Abendessen. 

Im Gegensatz zu meinen Mitmietern hielt ich mich ganz genau an die Zeiten, in denen gebohrt werden durfte. Sinnfreies Bohren war schon durch das Vorhaben ausgeschlossen. Wie nervenzehrend sinnfreies Bohren sein kann, kennt wohl jeder, der mal erlebt hat, wie es ist, wenn der Nachbar seine Liebe zur Bohrmaschine entdeckt. Der Trick, den mir Bekannte mal verrieten, nämlich bei den Nachbarn zu klingeln, um sich höflich ihre Bohrmaschine auszuleihen – wenn diese zu den unmöglichsten Zeiten bohrten – half nur bedingt bzw. irgendwann gar nicht mehr, weil mein Nervenkostüm doch zu sehr gereizt war und ich nicht mehr ausgeglichen wirken konnte. Auch Waltraut konnte dem Krach von Bohrern in der Wand nichts abgewinnen, schon gar nicht zu unchristlichen Zeiten. 

Ach wären doch alle Menschen wie Waltraut!