Hitze

Im Gegensatz zu mir blühte Ernesto bei warmen Temperaturen erst richtig auf.
Es konnte ihm gar nicht heiß genug sein. Je höher die Temperatur desto
enthusiastischer wurde Ernesto und umso langsamer ich. Richtig doof war für
mein Wohlbefinden die Kombination aus Wärme und schwüler Luft. Während
Ernesto es völlig egal war, wie hoch die Luftfeuchtigkeit war, machte sie mich
platt. So platt war ich natürlich für Ernesto auch keine große Hilfe.

Unser Leben im Dachgeschoss unseres Hauses war in den Sommermonaten
mehr von der Bemühung meinerseits um Kühle dominiert. Oft war ich mit
nassen Handtüchern um Kopf und Nacken gewickelt zu sehen. Ernesto hatte
sich schnell an dieses Bild gewöhnt. Es konnte nur peinlich werden, wenn der
Paketbote oder Nachbarn klingelten und ich so die Tür öffnen musste. Das Bild
von Menschen mit Handtüchern um die Extremitäten gewickelt bot vielen doch
Anlass, sich erstmal an das ungewohnte Bild gewöhnen zu müssen.

Auch ein nasses Handtuch auf dem Kopf war auf Dauer aber keine Lösung, weil
es doch arg die Sicht beeinträchtigte, wenn es herabhing. Gut halfen mir
letztlich nur Kühlmanschetten um Arme und Beine. Aber eigentlich konnte ich
nur auf milderes Wetter warten, um meine Bewegungs- und Denkfähigkeit
wieder koordiniert zu bekommen.

Mein Streben nach Kühle wurde eben von Ernesto nicht geteilt, weil Kühle bei
ihm zur Verlangsamung der Bewegungen führte und ihn in den Modus des
Winterschlafes versetzen konnte. Dem stand natürlich mein Streben nach Kühle
entgegen, sodass ich mir für unser Leben unterm Dach etwas einfallen lassen
musste.

Da Ernesto heißes Wetter mochte, überlegte ich schon, ob ich ihn in der
örtlichen Sauna abgebe, aber ohne Aufsicht durften Schildkröten nicht alleine in
die Sauna. Somit blieb Ernesto nichts anderes übrig, als die Hitze, die er so
erleben konnte, so gut als möglich zu nutzen. Ernesto verbrachte jetzt die Tage
immer häufiger vor unserer eigens für ihn angeschafften Höhensonne, die in
einem seiner Zimmer stand, sodass ich von der abgestrahlten Wärme
unbehelligt war. Was mir bisher völlig rätselhaft blieb, war immer noch, wie
man sich bei so viel Hitze wohlfühlen konnte.

Nicht umsonst heißt es ja bei uns Menschen: einen kühlen Kopf bewahren! Das
gilt aber nicht für Schildkröten, das musste ich erst lernen.

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